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Nachfolgedebatte in Saudi-ArabienGesucht wird ein neuer König

Die gesamte Führungsriege Saudi-Arabiens ist überaltert und schwer krank. Hinter den Kulissen tobt der Kampf um die Thronfolge. Mit völlig ungewissem Ausgang.

Gesundheitlich schwer angeschlagen: der saudische König Abdullah. Bild: dapd/ap

RIAD taz | Der wohl mächtigste Mann der arabischen Welt ist ein Greis. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt, einer Fernsehansprache Mitte März, schien der 87-jährige saudische König Abdullah äußert gebrechlich und konnte nur stockend ein paar Sätze vom Blatt ablesen. Unmittelbar danach wurde der traditionelle Säbeltanz der Prinzen gezeigt. Der König zuckte mit den Schultern und schwang seinen Säbel mit Elan. Allerdings vergaß das Fernsehen zu erwähnen, dass der Tanz vor ein paar Jahren aufgenommen wurde. "Der König hat chronische Rückenschmerzen", sagt ein westlicher Diplomat. Er könne keinen Säbel mehr schwingen. Wegen seines Rückenleidens wurde der König am Montag erneut in ein Krankenhaus in der Hauptstadt Riad eingeliefert.

Der Gesundheitszustand und das Alter des Monarchen hatten zuletzt Spekulationen über seine Nachfolge ausgelöst. In Saudi-Arabien ist die gesamte Führungsriege um die 80 Jahre alt und entweder krank, außer Landes oder gar regierungsunfähig. Und auch die alles entscheidende Frage, wer im weltgrößten Erdöl-Exportland die Thronfolge antreten wird, ist in der Königsfamilie offenbar so kontrovers, dass die konkurrierenden Lager eine Entscheidung immer wieder vertagen.

Anders als in europäischen Königshäusern ist die Thronfolge in Saudi-Arabien nicht vertikal, vererbt sich also nicht auf den Sohn oder die Tochter, sondern linear. Nach dem Tod von König Abdel Aziz Ibn Saud im Jahr 1953 wurde die Nachfolge unter den damals überlebenden 35 Söhnen ausgemacht. Dabei spielt auch das Senioritätsprinzip eine Rolle, ist aber nicht in jedem Fall ausschlaggebend. Diese Regelung führt zu einer Überalterung der Herrscher und ihrer möglichen Nachfolger.

"König Abdullah kann täglich nur zwei oder drei Stunden die Regierungsgeschäfte wahrnehmen", sagt Simon Henderson vom Institute for Near East Policy in Washington, der wohl am besten informierte Beobachter der Königsfamilie. Der König musste eine Reihe von Rückenoperationen über sich ergehen lassen und war deshalb bis Ende Februar drei Monate in den USA.

Kronprinz Sultan, 86, ist allen Informationen zufolge nicht regierungsfähig. Ein von Wikileaks veröffentlichter Bericht der US-Botschaft in Riad nennt ihn "für alle Aufgaben unfähig". Laut Henderson befindet er sich in einem "vegetativen Zustand". Anfang Juli begab er sich zu einer Untersuchung in die USA. Nach iranischen Angaben liegt Sultan inzwischen im Koma.

Der stellvertretende Kronprinz und Innenminister Prinz Naif, 77, gilt als Hardliner und Favorit des wahhabitischen Establishments. Inzwischen ist er jedoch seit mehreren Wochen außer Landes. Ein knappe Pressemitteilung am 1. April vermerkte, er begebe sich auf eine "private Reise". Dies nährte neue Gerüchte über seinen Gesundheitszustand. "Wahrscheinlich hat er mehr als ein Gebrechen", meint Henderson. "Er hatte Leukämie. Möglicherweise hat er nun wieder damit zu kämpfen."

Kronprinz Sultan ist seit 49 Jahren Verteidigungsminister und Naif seit mehr als 35 Jahren Innenminister. "Die täglichen Geschäfte werden allerdings von den Söhnen der Minister geführt. Das weiß man", sagt der Menschenrechtler Mohammed al-Qahtani.

Aber Minister von ihren Positionen entfernen kann der König offenbar nicht. Vor seiner letzten USA-Reise hieß es, der König werde eine Kabinettsumbildung ankündigen. Aber dazu kam es nicht, denn das hätte das empfindliche Gleichgewicht innerhalb der Königsfamilie gestört. Als der König länger als drei Monate im Ausland war, wurde nach Angaben von Diplomaten der Kronprinz, der die anderen Minister nicht mehr erkennt, ins Kabinett geführt, um die Sitzungen zu leiten.

All das sind Zeichen für ein Gerangel in der Königsfamilie um die Thronfolge. Kronprinz Sultan ist der älteste der sechs nach ihrer Mutter "Sudairi-Brüder" genannten Prinzen und Naif der zweitälteste. Die sechs Brüder gelten als mächtigste Gruppe bei der Entscheidung über die Thronfolge, aber König Abdullah hat ihren Einfluss bisher stets beschnitten. Da keine der beiden Seiten stark genug erscheint, die andere auszustechen, wird wohl diejenige gewinnen, die zuletzt mit den Füßen nach vorne aus dem Kabinett getragen wird.

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1 Kommentar

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  • H
    Hans

    Und was ist nun das Neue daran? Diesen Artikel liest man jährlich in unterschiedlichen Facetten, nun diese hier ist einer, der weniger Originellen, denn ein Nachfolger steht hier ja nicht fest.

     

    Also mal ehrlich: Der nächste König kommt, schon alleine weil da fast 100.000 Menschen dran hängen und die wollen ihre Appanagen, ihr Auskommen und ihre Privilegien.

     

    Die eigentliche Frage ist doch, ob Saudi Arabien sein autokratisch-islamisches Regierungssystem aufrecht erhalten kann - oder nicht? Sprich, wann ist Saudi Arabien gezwungen, ein anderes Regierungssystem einzuführen?

     

    Die Rebellion der Jugend könnte das Königreich früher oder später auch heimsuchen, denn Wohlstand wird immer schwieriger verteilt, viele Saudis sitzen zu hause rum, viele Menschen wissen gar nicht, was sie mir ihrem Leben überhaupt anfangen sollen, denn bislang arbeitet ein Heer von ausländischen Arbeitsbienen im Königreich und Saudis glauben (vielleicht eher glaubten), dies sei normal.

     

    Aber ein Land, dass sich hochrüstet und doch mehr oder weniger nicht abwehrbereit ist, dass jede praktische Tätigkeit Ausländern zuordnet, ist schon im Kern krank und fit für die Therapie - mit Abdallah oder ohne ihn. Man las auch jahrelang Artikel, wer beerbt Mubarak, nun jetzt sitzt er in Haft - ohne einen Nachfolger hinterlassen zu haben, wohl aber ein Erbe - ausbaden müssen die Ägypter seine Regierungszeit sowieso.