Nachbarschaftshaus Karlsgartenstraße: Ein warmes Essen und eine Umarmung

Nach zweijährigem Kampf um seinen Erhalt muss das Nachbarschaftshaus Karlsgartenstraße in Neukölln im April schließen. Zum Abschied gibt es ein Fest.

Auf einer Demonstration laufen maskierte Menschen mit Schildern in der Hand

Protestaktion gegen die Kündigung der Räume Karlsgartenstraße 6 im Dezember 2023 Foto: Isaumir Nascimento

BERLIN taz | Noch steht die Tür zum Nachbarschaftshaus in der Karlsgartenstraße 6 offen – wer Lust hat, kommt einfach rein und macht mit. In dem großen Raum im Erdgeschoss ist es hell und behaglich, in der offenen Küche im hinteren Teil des Raumes stehen Töpfe, Teller und Schalen voller Essen auf dem Tisch: Es gab heute „Feijoada“, einen brasilianischen Eintopf. Auf dem Wochenplan, der über dem Esstisch hängt, sind Angebote wie „Demokratieprojekt“, „Tanzgruppe“ und „Computerkurs“ eingetragen. Im vorderen Teil des Raumes sitzt die brasilianische Künstlerin Andrea Sobreira und hält einen Vortrag. Sie stellt ihre Arbeit vor und tauscht sich mit den Anwesenden über Kunst und Empowerment aus.

Das Nachbarschaftshaus, das bislang verschiedensten Initiativen und Gruppen einen Raum bot, wird es ab April in seiner bisherigen Form nicht mehr geben. Alle beteiligten Gruppen sind deshalb für ein finales Abschiedsfestival unter dem Titel „Frauen. Kämpfen. Um Räume“ zusammengekommen: Noch bis Donnerstag wollen sie in der Karlsgartenstraße 6 ein letztes Mal gemeinsam kreativ sein, feiern und essen.

Das Erdgeschoss mit der offenen Küche wird hier im Nachbarschaftshaus gerne als „Herzstück“ bezeichnet. Es ist ein Raum, um den die Nut­ze­r*in­nen in den letzten zwei Jahren erbittert gekämpft haben: Die Räumlichkeiten gehören zur benachbarten Volkshochschule, welche die Räume im Erdgeschoss sowie im ersten Stock renovieren und dann selbst als Verwaltungsräume nutzen möchte.

2021 wurde dieses Vorhaben angekündigt, die Initiativen und Gruppen, die sich regelmäßig im Nachbarschaftshaus treffen, durften das Gebäude bis jetzt übergangsweise weiter nutzen. Immer wieder haben sie seither gegen die geplante Nutzung der Räume durch die VHS demonstriert.

Volkshochschule verdrängt

Bereits seit dem Wochenende stellen die Nut­ze­r*in­nen des Nachbarschaftshauses ein vielseitiges Programm auf die Beine: Masken-Basteln für Kinder, feministischer Lesekreis, Fanzine-Workshop. Am Samstag fand zudem ein Soli-Event für das Netzwerk „Gesundheit 4 Palestine“ statt. Für das gemeinsame Fastenbrechen am Abend wurde den ganzen Tag lang in der Küche gekocht.

Mit zwei öffentlich geförderten Initiativen im Haus, der Schillerwerkstatt und den Stadtteilmüttern hat die VHS nun einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Die Schillerwerkstatt behält damit ihr Büro im ersten Stock und öffnet dieses und den anliegenden Workshop­raum für weitere Initiativen. „Wir haben hier aber nur Platz für maximal 12 Personen“, erklärt Stefanie Battisti, Vorstand des Vereins Schillerwerkstatt. Für viele der Gruppen, die bisher ins Nachbarschaftshaus gekommen sind, falle diese Option daher weg: etwa Tanz- und Theatergruppen, Chöre oder das Netzwerk „Frauen Machen Druck“, in dem sich mittlerweile über 90 überwiegend migrantische Frauen zusammengefunden haben, um gemeinsam Linoldrucke anzufertigen.

Sie bräuchten den großen Raum im Erdgeschoss. „Gerade die Küche spielt eine ganz wichtige Rolle für viele informelle Formate, wie wir sie hier im Haus haben“, erklärt Battisti. Bei vielen Initiativen und Aktionen stünden die Themen Kunst, Frauen und Politik im Vordergrund. „Es geht uns hier um die Lust am Machen“, fasst sie es zusammen.

Die „Lust am Machen“ hat auch Leni, eine der regelmäßigen Besucher:innen, ins Nachbarschaftshaus geführt. Vor zwei Jahren sah sie im Vorbeigehen einige Linoldrucke in den Fenstern des Nachbarschaftshauses hängen, die ihr gut gefielen. Sie kam herein – und fing an mitzumachen. Längst gehe es bei „Frauen Machen Druck“ nicht mehr nur um das Drucken, sondern um solidarische Unterstützung: Vor allem seit der Geburt ihres Babys vor zwei Monaten habe sie viel Support von den Frauen im Haus erfahren, erzählt Leni: „Ich habe mich hier immer so wohlgefühlt.“

Es geht um solidarische Unterstützung

Dass die Volkshochschule die Räumlichkeiten nun als Beratungsräume nutzen wird, bezeichnet Battisti aus der Schillerwerkstatt als „gut und richtig“. Doch mit dem Renovierungsvorhaben sei vielen Organisationen und Initiativen, die sich im Nachbarschaftshaus treffen, zunehmend die Gelder weggefallen, da sie keinen festen Arbeitsort mehr nachweisen konnten. Sie betont, dass die Schillerwerkstatt immer wieder mit der Volkshochschule kooperiere. Gleichzeitig sei es wichtig, die verschiedenen Angebote nicht gegeneinander auszuspielen.

Als „Dezentralisierung“ bezeichne die VHS den Umstand, dass sich die im Haus ansässigen Gruppen zwangsläufig auf mehrere neue Standorte verteilen, erzählt Battisti. Tatsächlich lebten die Gruppen aber von ihren Verschränkungen miteinander, von ihren fließenden Übergängen, ihrer Vernetzung und dem Lernen voneinander. Es bleibe die Sorge, dass ohne den Raum im Erdgeschoss der Kontakt zwischen den Projekten und Initiativen abbrechen werde. „Die Angebote werden damit abgebaut, manche hier im Haus würden auch sagen: zerstört“, sagt Battisti.

Dass über die Schillerwerkstatt und Stadtmütter hinaus keine weiteren migrantischen Initiativen und Kollektive aus dem Haus in die Kooperationsgespräche mit der VHS einbezogen wurden, obwohl sie den wesentlichen Teil der im Haus aktiven Gruppen ausmachen, wird von vielen Nut­ze­r*in­nen des Hauses scharf kritisiert. Zu ihnen gehört auch Ayşe Harman. Sie ist Vorstandsmitglied im Berliner Migrantinnenverein, der sich seit über zehn Jahren in der Karlsgartenstraße 6 trifft. Sie organisieren unter anderem eine große Chor- und eine Theatergruppe, die nun keinen Proberaum mehr haben. Zudem hatten sie bislang ein Büro im Nachbarschaftshaus, das sie jetzt räumen müssen. Ein kleiner Raum, bis zum Rand gefüllt mit selbst erstellten Flyern und Magazinen, Büchern, Requisiten und Musikinstrumenten.

Bezirksamt duckt sich weg

Über das Bezirksamt sagt Harman: „Die wollten uns von Anfang an nicht dabeihaben.“ Nicht nur für sie sei das Nachbarschaftszentrum zu einem zweiten Zuhause geworden, das man jetzt aufgeben müsse. Dank ihrer Arbeit seien Psycholog*innen, Gy­nä­ko­lo­g*in­nen und Er­zie­he­r*in­nen ins Nachbarschaftszentrum gekommen, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten.

Im Rahmen des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen stellten einige Frauen aus dem Nachbarschaftshaus ihre Kunstdrucke im Käthe-Kollwitz-Museum aus. Musik und Theater seien immer eine Stärkung für die Frauen gewesen, die ins Zentrum kommen. „Das Bezirksamt hat bis zuletzt nicht erkannt, was wir hier alles leisten“, sagt Harman, „Ich bin sauer, dass so was nicht gesehen wird.“

Gerade „Frauen machen Druck“ ist für viele Frauen im Nachbarschaftshaus zu einem wichtigen Knotenpunkt geworden: Sie können hier Kunst machen, in Kontakt treten, publizieren und in einer ungezwungenen Atmosphäre Deutsch lernen. Ins Leben gerufen wurde die Druckwerkstatt von Yili Rojas. Sie ist bildende Künstlerin und Referentin für politische Bildung und arbeitet im Demokratieprojekt der Schillerwerkstatt.

Kein einziges Mal sei die Neuköllner Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) persönlich im Nachbarschaftshaus vorbeigekommen. „Das finde ich schade und traurig“, sagt Rojas. Es seien vor allem zwei Dinge, die das Nachbarschaftshaus gibt: warmes Essen und eine Umarmung. „Wir unterstützen uns aus verschiedenen Erfahrungen heraus, generations- und nationsübergreifend“, sagt sie. Alle könnten in ihrer Form im Kollektiv da sein, ganz ankommen. „Das habe ich vom Haus gelernt.“

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