Nachbarn anschwärzen online: YouBlockwart
Denunziantentum für jedermann: Mit rottenneighbor.com kann jeder seine doofen Nachbarn anschwärzen. Von "assozial" über Drogenticker bis "Ossischlampen".
Das amerikanische Onlineforum www.rottenneighbor.com hat sich den Kampf gegen die letzte Unwägbarkeit beim Häuserkauf auf die Fahnen geschrieben: den unbekannten Nachbarn.
Hier können potenzielle Interessenten per Satellitensystem die infrage kommende Wohngegend schon einmal vorsondieren. Und hoffen, dass ein mitteilungsbedürftiger Anrainer bereits ein kleines, virtuelles rotes oder grünes Häuschen am Ort der Begierde hinterlassen hat. Rot heißt: Finger weg von dieser Nachbarschaft! Grün heißt: Nestbau Erfolg versprechend.
Im Großraum Berlin finden sich derzeit knapp zwanzig solcher Häuschen. Ein Klick, und es erscheint ein Kommentar zur aktuellen Nachbarschaftssituation. So ist zu erfahren, dass ausgerechnet in der geschichtsträchtigen Wilhelmstraße (Reichskanzleramt!) Personen mit "asozialem Verhalten" verkehren, die "den Abend bis zum Sonnenaufgang ausklingen lassen mit viel Qualm und Lärm", im gebärfreudigen Prenzlauer Berg "too many children" wohnen - in der Else-Jahn-Straße hingegen "2 Ossischlampen". In Mitte wurden "düstere arabische Gestalten" gesichtet, die "Drogen von Hasch, Gras bis Kokain für überteuerte Preise" verkaufen.
Skandalös? Skandalös ist vor allem die Art und Weise, wie ohne jede Prüfung der Schmähungen Name und Anschrift der Beschuldigten öffentlich gemacht werden. In den USA können sogar Bilder hochgeladen werden - zum Beispiel von vermeintlichen Sexualstraftätern.
Dabei kollidiert der legitime Wunsch nach Sicherheit mit dem Schutz der Angeklagten vor einem angestachelten öffentlichen Mob - und die Instrumentalisierung der Blockwartsmentalität wird scheinheilig in den Dienst der guten Sache gestellt.
Dass die Nachbarschaft eines Sexualstraftäters tatsächlich ein Risiko darstellen kann, ist die eine Sache - worum es den Betreibern der Seite aber gar nicht geht. Vielmehr stehen handfeste Maklerinteressen im Vordergrund, kann schließlich das Bekanntwerden eines dubiosen Anwohners den Wert eines Grundstücks deutlich beeinträchtigen: "living next to a sex offender could drastically reduce the value of your home or neigborhood". Und wer will das schon?
Profit vor Datenschutz - angesichts dieser Gewichtung möchte man nur noch auf einen New Yorker User hören, der Interessenten an seiner Wohngegend den gut gemeinten Ratschlag gibt: "GO!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist