Nach den Zusammenstößen in Albanien: Proteste sollen weiter gehen
Nach den Zusammenstößen vom Freitag mit drei Toten und 150 Verletzten wollen die oppositionellen Sozialisten erneut demonstrieren.
PRISHTINA taz | In Albanien scheint sich auch am dritten Tag nach den blutigen Zusammenstößen keine Lösung für die innenpolitisch verfahrene Lage abzuzeichnen. Schon rufen die oppositionellen Sozialisten in Tirana zu neuen Demonstrationen auf, auch die regierende Demokratische Partei will am kommenden Mittwoch ihre Anhänger aufmarschieren lassen.
Am Freitagabend hatten zehntausende Demonstranten versucht, ein Regierungsgebäude zu stürmen. Nach Angaben der Regierung wurde die Polizei mit Molotowcocktails angegriffen. Polizisten schossen in die Menge. Drei Demonstranten wurden getötet, 150 Menschen verletzt. Die Staatsanwaltschaft erließ am Samstag nach Sichtung von Fernsehaufnahmen Haftbefehle gegen sechs Mitglieder der Nationalgarde.
Hintergrund der Demonstrationen sind Wahlfälschungen und Korruptionsvorwürfe. Die Sozialistische Partei unter dem Bürgermeister von Tirana, Edi Rama, hat die Wahlergebnisse von 2009 nie akzeptiert, die sozialistischen Abgeordneten boykottierten bis in den Sommer 2010 hinein das Parlament.
Als die Wahlkommission im vergangenen Dezember auf Druck der Regierung auch noch beschloss, die Wahlunterlagen zu verbrennen und so eine Nachzählung unmöglich zu machen, kam es zu einer Protestwelle. Dieser verstärkte sich in der vergangenen Woche, nachdem Vizepremier Ilir Meta Korruption nachgewiesen werden konnte.
In der TV-Sendung Fiks Fare wurde ein geheim aufgenommenes Video gezeigt, das Ilir Meta zeigt, wie er über Bestechungsgelder für ein neues Wasserkraftwerkprojekt verhandelt. Der Minister musste zurücktreten. Das bringt die Regierung unter Sali Berisha in Bedrängnis, denn Meta gehört einer kleineren Koalitionspartei an, einer Abspaltung der Sozialistischen Partei.
Die Rhetorik zwischen beiden Lagern ist seit dem Wochenende schärfer geworden. Edi Rama nannte auf einer Pressekonferenz am Samstag die Tötung der Demonstranten ein "Staatsverbrechen", für das allein Berisha verantwortlich sei. Er forderte eine Untersuchung, damit die "wahren Verantwortlichen" vor Gericht gebracht würden.
Premier Sali Berisha erneuerte dagegen seinen Vorwurf, dass Rama einen Staatsstreich habe organisieren wollen, um sich die Macht mit Gewalt anzueignen. "Ich warne Edi Rama und sein Umfeld ebenso wie ihre gewaltsamen Anhänger, dass sie auf die Kraft des Gesetzes treffen, wenn sie es wagen, die staatlichen Institutionen anzugreifen", sagte Berisha vor der Presse. Beide Parteien haben sich nach dem Sturz des kommunistischen Systems an der Regierung abgelöst. Die Sozialisten hoffen nach Meinung von albanischen Beobachtern, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zunehmenden sozialen Proteste für eine Rückeroberung der Macht nutzen zu können
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier