■ Nach den Wahlen in Bosnien-Herzegowina sollte die internationale Gemeinschaft den Wiederaufbau fördern: Endlich die Rückkehr zur Normalität?
Nach dem Zerfall Jugoslawiens müsse auch Bosnien-Herzegowina zerfallen, erklärten vor dem Krieg prominente westliche Politiker wie Henry Kissinger. In Frankreich, Großbritannien und in Rußland floß diese These in die offizielle Politik. Die serbischen Extremisten unter Radovan Karadžić wie auch jene unter dem westherzegowinisch-kroatischen Führer Mate Boban griffen sie dankbar auf, um ihre von Belgrad respektive Zagreb unterstützte Politik des Krieges mit dem Ziel der Teilung des Landes zu legitimieren.
Die nichtnationalistischen Parteien und Bürgerbewegungen wehrten sich und erinnerten an die andere Seite Bosniens: an die Realität von über einem Drittel Mischehen und an die eigenständige bosnische Identität. Auch die Mehrheit der muslimischen Nationalpartei SDA unter Führung von Alija Izetbegović ist stets gegen die Teilung des Landes aufgetreten. Diese Position hatte international allerdings schlechte Karten: Die Pro-Sarajevo-Proteste wurden bis zum vorigen Jahr von den meisten Regierungen ignoriert, die Forderung nach militärischer Intervention bis nach dem Massenmord in Srebrenica strikt verworfen.
Bei der UNO und bei den meisten in den Konflikt involvierten Regierungen hatte das Argument von der Realpolitik die Debatte beherrscht. Man sollte die durch den Krieg geschaffenen Realitäten akzeptieren und das Beste daraus machen, war die von vielen geteilte Position innerhalb der UNO. Die Eroberungen und ethnischen Vertreibungen seien zwar bedauerliche Begleiterscheinungen dieses Prozesses, ihn rückgängig zu machen wäre jedoch nicht möglich und nicht einmal wünschenswert. Da Nationalisten und Nationalparteien bei den aktuellen Wahlen sogar im Falle massiver Wahlfälschungen gewonnen haben, scheint auch dieses altbekannte Argument gestützt. An ein friedliches Zusammenleben der Menschen in Bosnien-Herzegowina sei nicht mehr zu denken.
Aber wird sich diese Position wirklich und endgültig durchsetzen? Demgegenüber steht nämlich das Verlangen der Opfer nach Sühne der Verbrechen, nach Rückkehr in die Heimat, nach Menschenrechten und nach Rechtssicherheit. Eben nach zivilisatorischen Standards, die durch die UNO und andere supranationale Organisationen eigentlich verbürgt zu sein schienen. Solche Forderungen sind zwar von den Großmächten oft übergangen worden. Ignoriert werden kann jedoch nicht, daß jede „ungerechte“ Lösung nach Abzug der Truppen einen neuen Krieg in Bosnien-Herzegowina auslösen würde.
Angesichts dieser Konstellation ist eine Kräfteverschiebung innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu beobachten. Daß der Krieg zur Aufteilung Bosnien- Herzegowinas nicht nur die Region erschüttert, daß mit der Akzeptanz von Vertreibungen, des Raubs und der schrecklichen Verbrechen für ähnliche Entwicklungen in anderen Regionen Raum gegeben würde, ist jetzt endlich als politisches Argument akzeptiert – auch in den USA.
Diese könnten bei einem Nachgeben in Bosnien ständig und überall zum militärischen Engagement gezwungen werden, wird als Sorge formuliert. Und auch Deutschlands Interesse an der friedlichen Reintegration der Flüchtlinge erfordert eine Lösung für die Rückkehr, die nur in der Verwirklichung demokratischer Standards in Bosnien-Herzegowina liegen kann.
Daß im Falle Bosniens die politischen Wünsche Deutschlands und die strategischen Interessen der Vormacht der westlichen Welt die letzten zivilisatorischen Standards stützen könnten, mag den politischen Horizont mancher in unserem Land übersteigen. Die politische Chance, die sich daraus ergibt, sollten jedoch gerade jenen, die für die Überwindung des nationalistischen Denkens, für das friedliche Zusammenleben der Völker eintreten, nützen.
Die Erfolge der nicht national gebundenen Opposition in den großen Städten zeigen trotz des Wahlbetrugs darüber hinaus, daß der Krieg es nicht vermocht hat, die bosnische Identität oder die demokratischen Impulse dieser Gesellschaft vollständig zu zerstören. In der Administration des Hohen Repräsentanten Carl Bildt wie auch bei vielen Kommandeuren der Truppen der Ifor und den Hilfsorganisationen hatte sich schon zuvor die Meinung durchgesetzt, daß die Wahlen nur einen Teilaspekt eines Demokratisierungsprozesses hin zur Reintegration darstellen.
Solange internationale Truppen in Bosnien-Herzegowina stationiert sind – und an einer Verlängerung des Mandats ist ja nicht mehr zun zweifeln – und solange eine internationale Administration Anstöße für die politische Entwicklung zu geben in der Lage ist, solange also die internationalen Organisationen über die Art und Weise des Wiederaufbaus entscheiden können, ist es möglich, Bosnien vor dem Zugriff Serbiens und Kroatiens zu retten. Dazu gehört, die Machtbasis der Nationalisten zu erschüttern.
Ein internationales Protektorat Bosnien-Herzegowina wird es voraussichtlich nicht geben. Aber die Administration des Carl Bildt wird in Zusammenarbeit mit den internationalen Truppen in der Lage sein, Verstöße gegen das Abkommen von Dayton zu sanktionieren. Sie sollte im Rahmen eines neuen Mandates die Muskeln endlich auch im Falle der Kriegsverbrecher spielen lassen dürfen. Der in den letzten Tagen erzwungene Rücktritt des als Schlächter bekannten Polizeipräsidenten von Prijedor, Simo Drljaca, ist dafür ein ermutigendes Zeichen.
Wenn diese Strategie forciert würde, wären auch endlich Möglichkeiten für vielfältige Formen der zivilen Intervention gegeben. Jetzt ist die Zeit dafür reif, mit wohlüberlegten Projekten den Prozeß der zivilen Versöhnung in Bosnien-Herzegowina von seiten der europäischen zivilen Gesellschaft und der Friedensbewegungen zu verstärken. Jetzt könnten Projekte gestiftet werden, die sich sinnvoll im Rahmen des begonnenen Prozesses eingliedern ließen.
Unterstützung wird dort benötigt, wo Menschen versuchen wollen, wieder zur Normalität des Zusammenlebens in Bosnien zurückzufinden. Erich Rathfelder
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