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■ Nach dem Zerfall der Sowjetstrukturen suchen viele Kasachen nach einer religiösen Orientierung Aus Almaty Kristin Schönfelder und Assija BaigozhinaGott sei Dank gibt es Allah

Mit seinen enormen Bodenschätzen gilt das zentralasiatische Kasachstan als eines der reichsten Länder der Welt. Riesige Ölvorkommen machen es nicht nur für die Europäer interessant, die zu gern eine alternative Ölquelle zu den Staaten des Nahen Ostens sähen. — Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew will mit dem Westen ins Geschäft kommen, entsprechende internationale Abkommen sind unterzeichnet. Seinem Land verordnet der Präsident erst mal politische Ruhe. Letzte Stabilisierungsmaßnahme, um die Interessen der kasachischen und der russischen Bevölkerungsgruppen auszugleichen, war der Umzug der Regierung im vergangenen Dezember von Almaty nach Akmola.

An Sonntagen ist die Betonallee vor dem zentralen Kaufhaus in Almaty, im Volksmund leicht übertrieben „Arbat“, genannt, nach der berühmten Flaniermeile Moskaus, ein Tummelplatz für das Volk. Junge Leute in seltsamen Beinkleidern, mit Glöckchen um den Hals und Trommeln, preisen lauthals Krishna. Eine unscheinbare Frau steht neben dem Kaufhauseingang, die russische Ausgabe des „Wachturm“ in den Händen. Gruppen von kasachischen Mädchen, von Kopf bis Fuß eingehüllt in wallende Stoffe, kaufen kichernd Schöller-Eis. Wortgewandte junge Männer bringen Stapel evangelistischer Literatur unter das Spaziervolk. Russische Babuschkas haben vor der Fußgängerunterführung Kerzen, Kreuze und Plastikikonen zum Verkauf ausgelegt. Auf einer riesigen Plakatwand verheißt ein selbsternannter kasachischer Heiliger namens Sary die Heilung aller Krankheiten bei seinen Massenversammlungen. Willkommen in Kasachstan!

Doch wie soll sich ein Mensch zurechtfinden in diesem Durcheinander der Konfessionen? Und was bedeutet das überhaupt, Religion in einem Land mit über hundert verschiedenen Nationalitäten?

Erste Anlaufstelle ist eine Organisation mit dem Namen „Rat für religiöse Angelegenheiten der Regierung der Republik Kasachstan“. Der erste Anruf dort fällt allerdings verblüffend aus: „Uns gibt es nicht“, tönt die Stimme am Telefon. „Aber vielleicht haben Sie einen neuen Job für mich?“

Einen Monat zuvor war dieser Abteilung und 14 weiteren vom Präsidenten unerwartet die Abwicklung verordnet worden. Ob neue Strukturen geschaffen werden, ist bislang noch unklar. Die Stimme gehört einem Kasachen in mittleren Jahren: „Guten Tag, ich bin Telman (Thälmann) Sauranbejew. Sie können mich Telman nennen, Telman wie Ernst. Ich bin sozusagen der gewesene Chef des gewesenen Rats. Alle Informationen für Sie hat Kollege Kowalenko, nur ist der im Moment nicht da.“ Mit diesen Worten entschwindet er in den endlosen Gängen seines verflossenen Reiches.

Später kommt zwar nicht Kollege Kowalenko, aber Baktijar Smanow, ein etwa Fünfundvierzigjähriger in einem sehr eleganten Anzug. Eigentlich warteten ja Gäste aus der Türkei im anderen Zimmer, und zuständig sei er auch nicht, und überhaupt, wie man an der Abwicklung sehen könne, existiere die Frage der Religion nicht in Kasachstan, zumindest nach Meinung der Regierung... Endlos kramt Smanow nach den Akten, aus denen er dann mit einem Ausdruck, als eröffne er Militärgeheimnisse, vorliest, daß es in Kasachstan etwa vierzig Konfessionen gibt (alle Sekten und Splittergruppen eingeschlossen) und mehr als 1.600 religiöse Organisationen registriert sind.

Die Hauptreligionen bleiben dabei traditionell das Christentum für die russischsprachige und der Islam für die turksprachige Bevölkerung. Wie schätzt er den Einfluß von Iran oder Pakistan auf die Islamisierung des Landes ein? Wer finanziert die neuen Koranschulen, die Medresen in der Hauptstadt und die Moscheen, die in jedem Dort wie Pilze aus dem Boden schießen? Darüber habe er keine Informationen, aber die Hauptaufgabe des Rats für religiöse Angelegenheiten sei stets gewesen, den Fundamentalismus, welcher Richtung auch immer, abzuwehren, sagt Smanow mit einem Gesichtsausdruck, der selbst eine Betonwand davon überzeugen könnte, daß Kasachstan ohne den Rat dem Chaos der Religionen entgegensieht. An eine religiöse Zukunft des Landes, welcher Art auch immer, glaubt Smanow dennoch nicht. „Die meisten sind doch wie ich, denen ist die Reliogion im Grunde egal. Wenn überhaupt, dann sind das einfach Traditionen. Ich bin natürlich Moslem, weil ich Kasache bin, aber ich glaube nicht an Gott, ich bin schließlich Doktor der historischen Wissenschaften.“

Am Stadtrand, inmitten einer lehmstaubigen Kraterlandschaft steht ein grauer Plattenbau. Hinter diesen Mauern soll sich eine der neuentstandenen Medresen von Almaty befinden. Im ersten Stock sitzt in einer heruntergekommenen Wohnung eine Gruppe von zehn Mädchen in langen Kleidern und bunten Tüchern, die vom Gesicht nur wenig freigeben. Die Älteste von ihnen ist 25, die jüngste 16. Von den Wänden rollen sich die blaßblaugrünen Tapeten, Möbel gibt es keine. Zum Sitzen dienen ein paar ausgetretene Teppiche. Die Medrese existiert hauptsächlich durch Spenden aus Pakistan. Von morgens bis abends lernen die Mädchen hier im Laufe eines Jahres die Grundlagen der Scharia und des Korans. Der Unterricht sowie Kost und Logis sind frei.

Alija Kosbagarowa, die Älteste, stammt aus Turgaj in Nordkasachstan. Früher studierte sie an der Chemischen Fakultät der Staatlichen Universität in Almaty, das Studium hat sie abgebrochen. Von der Medrese hörte sie zufällig von entfernten Verwandten. Bis dahin war sie, wie alle in ihrer Familie, nicht gläubig. Die Eltern haben ihr zugeraten: Sie wissen, daß Alija als Chemikerin in der heutigen Zeit, da es kaum noch bezahlte Arbeit gibt, keine Perspektiven hat. Wenn sie aber die Medrese absolviert, wird sie an der Moschee Frauen und Kinder in den Grundlagen des Islam unterweisen und damit ihr Auskommen haben. Alija ist zufrieden mit ihrem neuen Leben, genau wie Gauchar Sulejewa aus Atyrau in Westkasachstan. Doch wenn Gauchar in ihre Heimatstadt fährt, ist sie unablässig den neugierigen und mitunter spöttischen Blicken ihrer ehemaligen Mitschülerinnen ausgesetzt. Mit ihrem muslimischen Aufzug, den sie nicht einmal bei vierzig Grad Hitze ablegt, ist die Zwanzigjährige in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund. Gauchars Nachbarinnen, kasachische Mütterchen, monieren dagegen, daß nicht einmal ihre Großeltern solche Säcke getragen haben und halten ihre Tracht für eine neue Mode aus der Hauptstadt. Doch Gauchar nimmt das gelassen: „Allah sieht alles.“

Shanar Muchamedschanowa, deren Familie bis heute nicht weit vom Semipalatinsker Atomtestgebiet lebt, und Anar Scharimbetowa, die am Ufer des austrocknenden Aralsees aufgewachsen ist, beide 17, erscheint das Leben in der Medrese fast wie ein Paradies. Obwohl die Bedingungen alles andere als paradiesisch sind: Die Mädchen teilen sich mit ihren Lehrerinnen zwei Räume, geschlafen wird auf dem Boden. Jedes Mädchen bereitet einmal in der Woche einen ganzen Tag lang für alle die Mahlzeiten zu. Privatsphäre gibt es nicht, die knappe Freizeit verbringen alle zusammen. Die Regeln sind streng, und in der letzten Zeit haben einige Mädchen das Studium abgebrochen. Shanar und Anar haben einen gemeinsamen Traum: weiterzustudieren an der berühmten Al-Azhar Universität von Kairo, oder, wenn das an finanziellen Zwängen scheitert, wenigstens an der hiesigen Islamischen Universität, die derzeit mit Mitteln aus Ägypten errichtet wird.

Viele der Absolventinnen stehen, wenn sie in ihren Heimatort zurückkehren, vor einer schwierigen Situation. Der seit sowjetischen Zeiten bestehende religiöse Kadermangel führt bis heute dazu, daß sich besonders Milizionäre und Kolchosbuchhalter zu Teilzeit- Mullahs ernennen, obwohl sie nicht einmal die Sprache des Korans kennen. Die jungen Frauen, voller Enthusiasmus, verlangen von ihnen nun plötzlich, daß alle Rituale und Traditionen in der vorgeschriebenen Form ausgeführt werden und bedrohen damit die selbsternannten Mullahs auf ihren einträglichen Posten. Die Mädchen sind der festen Überzeugung, daß ihre Heimat über kurz oder lang ein islamisches Land sein wird. Der junge kasachische Bildhauer Askar Jesenbajew glaubt dagegen, daß die Kasachen, ein Nomadenvolk, das erst im 19. Jahrhundert vollständig islamisiert wurde, niemals echte Muslime waren und deshalb auch schwerlich solche werden. Seiner Meinung nach gehört der Islam, ebenso wie der Judaismus und die christliche Orthodoxie, der Vergangenheit an. „Das sind im Grunde die traditionellen Religionen einzelner Völker. Kasachstan aber muß seinen eigenen Weg zu Gott finden.“ Der Achtunddreißigjährige hat meditiert, sich mit Yoga und Buddhismus beschäftigt. In Moskau, wo er sechs Jahre an der Kunsthochschule studierte, besuchte er die orthodoxe Kirche, wieder zu Hause, hat er sich mit dem Sufismus auseinandergesetzt, aber immer blieb das Gefühl, im Kreis zu gehen. Gefunden hat Askar sich dann in der „Kirche des neuen Lebens“, die es bereits seit sieben Jahren in Kasachstan gibt. „Christen denken nicht an morgen, und dieser Gedanke ist zentral auch für Nomaden. Die Kirche des Neuen Lebens ist im Grunde für Kasachstan die einzig mögliche Religion, frei von den traditionellen Fesseln einer einzelnen Nationalität, einer Wiedergeburt entgegenzugehen.“

Aus seiner Werkstatt in einem Künstlerhaus ist inzwischen eine „heilige Bergspitze“ geworden, wie er sich ausdrückt. Einmal in der Woche kommen eine Gruppe von Gläubigen und der Pastor hier zusammen zum Gebet, zwischen halbfertigen Skulpturen, Werkzeugen und Steinblöcken. Zunächst waren ihm diese Treffen peinlich, erzählt Askar, weil nebenan, nur durch dünne Wände getrennt, ein strenggläubiger Muslim seine Werkstatt hat.

Aber von den Tausenden von Anhängern der Kirche des Neuen Lebens sei ein Drittel junge Kasachen — Askar nennt sie „Erleuchtete“. Bei ihren Zusammenkünften beten sie oft für Kasachstan, damit das Land und sein Präsident Nasarbajew vom Heiligen Geist erfüllt werden und die Republik genau wie Südkorea durch diesen neuen Glauben erblüht. „Ich fühle ständig die Anwesenheit Gottes“, sagt Askar, nachdem er eine CD mit Bach-Motetten eingelegt hat. „Die Früchte meiner Liebe zu ihm, das sind meine Skulpturen.“

In der Tat gehört er zu den erfolgreichsten Künstlern Kasachstans: Seine Arbeiten wurden in Moskau, in Frankreich und in der Schweiz gezeigt, im Herbst folgt eine Ausstellung in Washington. Einige seiner Künstlerfreunde hat er schon in seine Kirchengemeinde gebracht. „Gott hat sich mir offenbart, aber ich bin mir sicher, daß man zu Gott nicht in Einsamkeit kommen kann. Man braucht jemanden, der einen führt zum rechten Glauben. Gott hat mich ausgewählt, um andere sehen zu machen, das ist meine Aufgabe.“

Al-Hadsch al-Apsheroni, mit sowjetischem Namen Oleg Iwanowitsch Rubetz, ist dagegen der Überzeugung, daß auf dem Weg zu Gott jeder seinen eigenen Weg finden muß. „Der Islam, das ist der Glaube, den ich verstehe und annehme.“ Der Ukrainer, geboren und aufgewachsen in Baku, ein Berufsoffizier, der im Krieg gegen Afghanistan noch Kommunist und Hauptmann der Sowjetarmee war, pilgerte vor einigen Jahren nach Mekka und steht jetzt der religiösen Gemeinschaft „Al-Madin“ in Almaty vor. Bekehrt wurde Oleg Rubetz in Afghanistan. „Dort habe ich Mudjahedin gesehen, die mit einem Lächeln gestorben sind, und habe verstanden, daß keine Macht der Welt ein gläubiges Volk besiegen kann. Diese Leute kann man erniedrigen, aber niemals besiegen.“ Der Vierzigjährige ist davon überzeugt, daß er den Krieg nicht umsonst überlebt hat, sondern daß seine Aufgabe vorbestimmt ist: seinen Landsleuten das heilige Wort des Korans zu bringen. Jeden Sonnabend tritt al-Hadsch Rubetz im lokalen Fernsehen auf und erläutert auf russisch die Inhalte der Heiligen Schrift. Er würde sich als der glücklichste Mensch der Welt schätzen, wenn sich auch sein zwölfjähriger Sohn zum Islam bekennen würde wie vor kurzem seine russische Frau Swetlana, die auf sein Geheiß hin allerdings schon mehrere Jahre das Haus nicht ohne Kopftuch verläßt.

Zu Kurbanai, dem Heiligen Opferfest des Islam, ist Oleg Iwanowitsch mit seinem weißen Pilger-Mützchen im Hof der zentralen Moschee von Almaty nicht zu unterscheiden von den anderen Gläubigen, auch wenn sein Akzent ihn verrät, wenn er kasachisch spricht oder auf arabisch aus dem Koran liest. Die Moschee an Kurbanai erinnert an eine katholische Kirche zu Weihnachten — viele scheinen sich nur an diesem einen Tag im Jahr zu erinnern, daß sie Moslems sind. Al-Hadsch ärgert sich darüber, aber im Laufe der Jahre hat er gelernt, geduldiger zu sein. Vor fünf Jahren hatte er die neugierigen Mädchen, die heute mit kurzen Röcken und ohne Kopfbedeckung erschienen sind, hinausgeworfen. Heute diskutiert er mit ihnen und ist überzeugt, daß sie beim nächsten Mal nach den Gesetzen der Scharia angezogen sein werden. „Auch ich lerne dazu und werde weiser“, meint al-Hadsch und übersieht ebenso großzügig, daß hauptsächlich russische Babuschkas zur heutigen Armenspeisung gekommen sind. „Allah akbar“, sagt er und lacht.

Olga Garifulina, in der sich russisches, tatarisches und koreanisches Blut mischen, hat sich im Kaukasus taufen lassen und nennt sich seither Kesarija („die Erblühte“). Ihre russisch-orthodoxe Katehdrale am Stadtrand von Almaty baute sie im wahrsten Sinne mit eigenen Händen auf: Sie hat Steine geschleppt, Essen gekocht, die Ikonenwand zusammengestellt und singt jetzt im Chor der Kirche, die noch nach Holz riecht. Olga, von Beruf Regisseurin, verdient ihren Lebensunterhalt derzeit mit Übersetzungen aus dem Französischen für hiesige Verleger und durch gelegentliche Dolmetschereinsätze. Ihre Wohnung, selbst im Flur und in der Küche vollgetürmt mit Büchern, ist wie in besten sowjetischen Zeiten Treffpunkt für die allerverschiedensten Leute: ehemalige Kollegen aus dem Filmstudio, Kirchendiener, Ärzte oder einfache Bauern. Dabei wird es immer schwerer in Almaty, Gäste zu empfangen. Mal gibt es kein Gas, mal keinen Strom, mal kein heißes Wasser. Olga übersetzt ihre Artikel oft bei Kerzenschein. Viele ihrer Freunde sind in dieser nun schon endlos dauernden Übergangsperiode ohne Arbeit und überleben mühsam durch Gelegenheitsverdienste. „Jetzt, wo es kein Zurück mehr zum Früher gibt, die Zukunft durch ihre Ungewißheit erschreckt und alle mit Überleben beschäftigt sind, kann nur der Glaube die Leute retten. Nur die Kirche kann heutzutage die Leute zusammenhalten, weil nur ihre Werte ewig sind.“ Doch oft ist Olga damit konfrontiert, daß insbesondere die älteren Frauen sie im Gottesdienst beobachten und bisweilen offen fragen, was sie, deren Gesichtszüge von ihren asiatischen Vorfahren zeugen, in einer slawischen Kirche wolle. „Dabei sind die Menschen, die wie ich nicht sagen können, welcher Nationalität sie sind, im Grunde wie geschaffen für das Christentum, denn sie sind Fremde überall und damit frei von allen Fesseln der Traditionen.“

Für ihre Freunde und Verwandte jedoch ist die Fünfunddreißigjährige ein rotes Tuch. Ihre Großmutter, Soja Petrowna, mit der Olga zusammenlebt, ist zum Beispiel eine ausgesprochene Liebhaberin von Seifenopern. Ihre Enkelin ist allerdings der Meinung, daß sie damit den Teufel anbetet und warf einmal fast den Fernseher weg. Mit ihrem verheirateten Cousin hat Olga nicht geredet, bis er sich in der Kirche nachträglich hat segnen lassen. Doch der Fanatismus scheint in der Familie zu liegen: Ihr Großvater, ein Tatare und überzeugter Kommunist, verfügte vor seinem Tod, daß er auf keinen Fall als Muslim beerdigt werden wolle, so daß seine Freunde nicht einmal Totengesänge am Grab anstimmen durften. Ihre Mutter, eine Journalistin, lebt in Moskau und verbringt den Hauptteil ihrer Freizeit damit, für die kommunistische Splitterpartei zu agitieren und die Wiedervereinigung der Sowjetunion vorzubereiten.

Der Präsident, vor nicht allzulanger Zeit nach Mekka gepilgert, eröffnet mit seiner Frau den traditionellen Weihnachtsball von Erzbischof Alexej, dessen Erlös zum Teil dem Bau der neuen Zentral-Moschee zugute kam. Mufti Radbek und Erzbischof Alexej erscheinen zu allen offiziellen Anlässen an der Seite des Präsidenten und segnen gemeinsam Ereignisse wie die neue Verfassung, das Jubiläum des Nationaldichters Abai oder eine neue Verordnung des Präsidenten. Der Volksmund nennt sie daher spöttisch „siamesische Zwillinge“. Präsident Nasarbajew bemüht sich um Ausgleich: Kasachen und Slawen halten sich in der Bevölkerung etwa die Waage, so daß es dabei nicht eigentlich um Religion geht, sondern eher um politische Fragen. Im Grunde macht sich aber das einfache Volk über diese Dinge sowieso keine Gedanken, es ist simpel mit Überleben beschäftigt.

So erging es auch den Bewohnern von Kurmetti, einem kasachischen Dorf im Verwaltungsbezirk Almaty. Nachdem sie ein Jahr keinen Tenge Lohn ausgezahlt bekommen hatten, erschien das Angebot eines US-amerikanischen Missionars, jedem Einwohner, der zum Christentum konvertiert, eine Summe von 5.000 Tenge (das Äquivalent einer Kohlenration für einen Winter) auszuzahlen, mehr als verlockend. Die muslimischen Dorfbewohner grübelten eine Weile. Allah schien gerade andere Sorgen zu haben, auf die lokalen Verwaltungen konnte man kaum hoffen, also nahmen sie an, schon allein um nicht zu erfrieren. „Irgendwann wird der Missionar abreisen, und wir werden zu Allah zurückkehren; er wird verstehen und uns verzeihen.“ Nachdem die Wochenzeitung „Caravon“ davon berichtet hatte, erreichte die Redaktion ein empörter Brief, nicht von dem Amerikaner, auch nicht von den Einwohnern, sondern von der Kreisverwaltung: „Was soll das, Sie tun so, als ob wir nicht arbeiten!“ Am Ende ließ sich die Kreisverwaltung nicht einmal zu einer Stippvisite blicken, der Amerikaner konnte ein paar hundert Menschen in sein Taufregister eingetragen, im Dorf hatten alle Kohlen für den Winter – und im Frühling war alles beim alten ...s

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