Nach dem Volksentscheid: Senat agiert durchsichtig
Die rot-rote Landesregierung verzichtet auf Rechtsmittel gegen vom Volk beschlossenes Gesetz. Eine namhafte Person soll alle Verträge sichten.
Der Senat will nicht gegen das per Volksentscheid beschlossene Gesetz zur Offenlegung der Wasserverträge klagen. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) sagte am Dienstag nach der Sitzung der Landesregierung, man habe zwar weiter erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Man wolle aber nicht den Eindruck erwecken, dass man versuche, den Volksentscheid auf juristischem Weg auszuhebeln. Zudem soll eine namhafte Persönlichkeit, etwa ein ehemaliger Verfassungsrichter, die Unterlagen der Wasserverträge abschließend prüfen. Noch tags zuvor hatte Linkspartei-Chef Klaus Lederer eine gerichtliche Prüfung gefordert.
Am Sonntag hatten im ersten erfolgreichen Volksentscheid der Berliner Geschichte über 665.000 Wahlberechtigte für das Gesetz gestimmt, obwohl der Senat bereits im November die Wasserverträge ins Internet gestellt hatte. "Das zeigt, dass es den Leuten nicht nur um Offenlegung geht, sondern noch mehr dahinter steckt", sagte Wolf.
Dazu gehört für ihn die Forderung nach niedrigeren Wasserpreisen und Wasserversorgung in kommunaler Hand - derzeit gehören dem Land nur 50,1 Prozent der Berliner Wasserbetriebe. Zugleich sah er "ein Klima des Misstrauens und der Verdächtigungen". Das bringt den Senat laut Wolf dazu, im Sinne von Transparenz weitere Unterlagen im Zusammenhang mit den Wasserbetrieben öffentlich zu machen. Der Wirtschaftssenator betonte aber, dass diese Unterlagen nicht zu den Papieren gehören, die laut Volksentscheid aufgedeckt werden müssten: Es seien Vereinbarungen, an denen weder RWE noch Veolia beteiligt waren. Im Gesetzestext des Volksentscheid geht es aber nur um Verträge, die "zwischen dem Land Berlin und den privaten Anteilseignern geschlossen worden sind".
Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann wertete Wolfs Ankündigung trotzdem als "ein Eingeständnis, dass der Senat nicht die Wahrheit gesagt hat". Die Grünen hatten der Landesregierung am Wochenende vorgeworfen, gelogen zu haben, weil es noch unveröffentlichte Papiere gebe.
Ratzmann kritisierte auch, dass die Landesregierung ein Gesetz akzeptieren will, obwohl sie es weiterhin für verfassungswidrig. Er erwartet jetzt, dass der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, das Gesetz überprüfen lässt. "So leicht kommen die da nicht raus", sagte Ratzmann. Momper muss das Gesetz unterschreiben, sonst wird es nicht gültig.
Wolf berichtete am Dienstag zudem von bereits laufenden Verhandlungen des Senats mit RWE und Veolia. RWE sei bereit, seine Anteile abzugeben, sagte Wolf. Veolia will zwar nicht verkaufen, soll aber zu Vertragsänderungen bereit sein. Der Wirtschaftssenator, zugleich Spitzenkandidat der Linkspartei für die Abgeordnetenhauswahl, will sich durch die am 18. September anstehende Wahl nicht unter Druck setzen lassen. "Wir werden uns nicht wegen der Wahlen einen erhöhten Kaufpreis aufdrücken lassen", sagte Wolf.
Die nötige Summe soll das Land über Kredite besorgen und über die Rendite der Wasserbetriebe zurückzahlen. Dennoch soll es möglich sein, die Wasserpreise zu senken - "wir wollen die Anteile nicht zum Selbstzweck erwerben". Keinesfalls soll es so laufen wie in Potsdam, wo der Wasserpreis nach dem Rückkauf von früher kommunalen Anteilen nicht sank, sondern stieg.
Dass Wolfs Ankündigung, nicht zu klagen, in krassem Gegensatz zur anderslautenden Forderung von Parteichef Lederer steht, war am Dienstag für Linkspartei-Sprecher Thomas Barthel kein Problem: "Da gibt es eben unterschiedliche Sichtweisen, ich finde das nicht weiter dramatisch. Man wollte wohl nicht den Eindruck erwecken, ein schlechter Verlierer zu sein."
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