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■  Nach dem Sommertheater wollte Schröder die SPD wieder auf Kurs bringen. Das Machtwort blieb aus. Der Kanzler hat verstanden: Als Regierungschef darf er bei seinem Zukunftsprogramm keine Abstriche machen, aber als Parteichef muss er die SPD behutsam erneuernEine schrecklich nette Familie

Auch das noch. Als ob Gerhard Schröder nicht schon genug verbrochen hat: Er verachtet eine über 130 Jahre alte Traditionspartei, er verkauft ihre Seele, er entsorgt die soziale Gerechtigkeit. Und jetzt bringt uns der Kanzler auch noch den Sozialismus zurück. Als Konsequenz der rot-grünen Regierungspolitik entdeckt Lothar Bisky eine Neubelebung der sozialistischen Idee. „Je brutaler die Umverteilung vor sich geht“, so der PDS-Vorsitzende gestern, „umso attraktiver wird der Sozialismus.“

Bis zu Gerhard Schröder hatte sich die alarmierende Nachricht gestern im Saarland (der Heimat Erich Honeckers!) noch nicht herumgesprochen. Braungebrannt, gut gelaunt und „um einige Pfunde leichter“, wie Bild am Sonntag recherchiert hat, empfing der Parteichef nach seinem Urlaub das SPD-Präsidium zur ersten Sitzung nach der Sommerpause. Schröder demonstrierte vor allem eins: Gelassenheit. Von Krise der Partei keine Spur, von Biskys Sozialismus ganz zu schweigen. Probleme? Ich bitte Sie, gab Schröder zu verstehen, das sind familiäre Differenzen. Machtworte? In der SPD?

Dabei hatten genau darauf alle gewartet, auf das – MACHTWORT. Aber genauso selbstverständlich, wie die SPD, wenn sie denn schon eine Familie sein soll, eine schreckliche Familie ist, so selbstverständlich blieb auch das Machtwort des Kanzlers aus. Familienoberhaupt Schröder tut nämlich nur so, als spräche es ein Machtwort. Man kennt das ja von den Vätern zu Hause. Zum Politikverständnis Schröders gehört es, der Öffentlichkeit das zu geben, was sie erwarten. Da neben Bild mittlerweile selbst das Darmstädter Echo ein Machtwort forderte, spielt Schröder jetzt die Rolle des starken Mannes. Er bedient das Klischee und spricht natürlich das Machtwort – aber nur scheinbar, er spricht es da, wo es hingehört: in einer großen Boulevardzeitung. Dort verspricht die Inszenierung den größten Erfolg.

Der Chef nimmt die Zügel wieder in die Hand, will Schröder mit seinem Interview in der Bild am Sonntag signalisieren. Er spricht von „Kurs halten“ und „Disziplin zeigen“. Aber wer das Interview genau liest, bemerkt: kein echtes Machtwort weit und breit. Man würde den Kanzler auch unterschätzen, wenn man glaubte, er hätte in den letzten Monaten nicht verstanden, dass man eine Partei wie die SPD nicht per Dekret aus dem Kanzleramt auf Regierungskurs bringen kann. Schröders Machtwort-Interview und sein gestriger Auftritt in Saarbrücken enthalten jenseits der medialen Inszenierung vor allem zwei Botschaften: Als Kanzler will er die begonnenen Reformen weiter vorantreiben, und als SPD-Chef wird er sich verstärkt um seine Partei kümmern, sie behutsam auf seinen Modernisierungskurs bringen.

Schröder ist gewillt, beim Zukunftsprogramm der rot-grünen Regierung keine Änderungen zuzulassen. Das ist auch klug so. Der Verzicht auf scheinbar unpopuläre Maßnahmen würde Schröders Lage nicht verbessern, im Gegenteil. Außerdem kann sich der Kanzler darauf stützen – dies wird bei allen schlechten Umfragewerten übersehen –, dass immerhin 70 Prozent der Bevölkerung sein Sparpaket befürworten.

Diese Entschlossenheit, darauf setzt Schröder, wird ihm langfristig Wählerstimmen bringen. Auf die Verluste und Niederlagen bei den fünf Landtagswahlen im Herbst sind der Kanzler und die SPD-Zentrale schon vorbereitet. Schröder gelten sie als Preis für die Macht im Bund, langfristig sogar für seine Wiederwahl 2002. Er ist davon überzeugt, dass seine Sparpolitik nicht falsch ist und im Prinzip auch nicht unpopulär.

Dabei gibt es nur ein klitzekleines Problem: Weite Teile der SPD sehen das nicht so. Sie werden ihrem Kanzler und Parteichef über mehrere Wahlniederlagen hinweg nicht bedingungslos die Treue halten. Schröders Erfolgsrezept bestand bisher im Kern darin, Erfolg zu haben. Bleibt der aus, verliert Schröder einen wichtigen Teil seiner Aura. Er weiß das, und wenn nicht, dann hat er es vermutlich in Positano endgültig gelernt. Also muss der SPD-Chef seine Partei für sich gewinnen und sie erneuern. Dass der Kanzler noch am Sonntag Abend bei einem Geheimtreffen in Hannover mit Hans Eichel, Rudolf Scharping und Franz Müntefering sprach, lässt darauf schließen, dass er seine erfolgreichen SPD-Minister zum neuen starken Trio in der Partei machen will. Dazu soll es ein neues Parteiprogramm geben, den Vorsitz der Programmkommission will Schröder selbst übernehmen. So kann er die Debatte in der Partei gleichzeitig beruhigen, moderieren und kontrollieren.

Die SPD ist auf Gedeih und Verderb an den Erfolg des Kanzlers gekettet, das ist richtig – aber ohne eine modernisierte SPD wird Schröder auf Dauer keinen Erfolg haben, er ist schließlich der Parteichef. Hier liegt auch die Erklärung dafür, dass Schröder die Differenzen mit Reinhard Klimmt gestern herunterspielte und dem saarländischen Ministerpräsidenten relativ freie Hand für dessen Wahlkampf lässt. Verliert Klimmt, weiß jeder, woran das liegt: Er ist Schröder nicht gefolgt. Gewinnt Klimmt, wird Schröder den Erfolg als einen der ganzen SPD verbuchen. So mag es der Kanzler: Egal, was passiert, er ist der Sieger. Jens König

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