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Nach dem Halbfinal-Aus der DeutschenKluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Das Scheitern der DFB-Elf liegt nicht nur an der spanischen Spielkunst. Die Deutschen waren während des ganzen Turniers schlicht zu ideenlos.

Trauerarbeit: Lea Schüller (r.) und Sydney Lohmann kümmern sich um Jule Brand Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Zürich taz | Es war ein vermeidbares Tor, welches das deutsche Aus in der 113. Minute besiegelte. Und doch ging das in Ordnung. Es fühlte sich geradezu folgerichtig an: Als Aitana Bonmatí einen Pass von Athenea, den nicht viele Menschen so zauberhaft durch eine Abwehrkette spielen können, durch die eigenen Beine rollen ließ, nach einer Drehung hinterher sprintete und die Kugel an Ann-Kathrin Berger vorbei ins Eck spitzelte, wie das ebenfalls nicht viele Menschen auf dieser Welt können, reichte dieser wunderschöne Treffer fürs Finale.

Das Gegentor ging zu gleichen Anteilen auf Sydney Lohmanns und Ann-Kathrin Bergers Konto, aber das Einzelversagen war gar nicht so wichtig. Im Hobbytrainer-Jargon sagt man: Es lag in der Luft. Das Halbfinale der Wück-Elf gegen Spanien glich einem schrägen Déjà-Vu-Erlebnis. Es sah aus wie die Abwehrschlacht gegen Frankreich, nur dass die Deutschen zu elft waren und sich diesmal ohne Not radikal einigelten.

Immer wieder passten sich die Spanierinnen geduldig den Ball zu, trafen den Pfosten, eine deutsche Fußspitze oder Ann-Kathrin Berger. Das DFB-Team spielte wie ein Underdog. Und folgerichtig erlitten die Deutschen am Ende das Schicksal vieler Underdogs, die sich lange gegen eine Übermacht stemmen, bis Beine und Konzentration in einem schicksalhaften Moment versagen.

Es ist fraglich, ob das eine kluge Strategie war. Was Wücks Team da auf den Rasen brachte, sah nicht kategorisch schlecht aus. Die Defensive stand überwiegend gut, Sophia Kleinherne wuchs über sich hinaus und Carlotta Wamser zeigte, warum sie eine so große Hoffnung ist. Rebecca Knaak und Franziska Kett waren überfordert, hatten es aber, so viel Fairness muss sein, auch mit Weltfußballerin Aitana Bonmatí zu tun.

Verletzungen und Sperren hat das Team glänzend weggesteckt. Ja, sie können hinten stehen und verteidigen, diese Deutschen. „Wenn wir ein bisschen mehr Spielglück haben, fällt vorne einer rein“, sagte Knaak hinterher. Und das stimmte auch.

Verzwergung des deutschen Fußballs

Und doch war das wieder ein erschreckend limitierter Auftritt. 90 Minuten hoffen, irgendwie gegen Spanien zu überleben, ohne Pressing oder eigene Ballbesitzphasen, das war ein schlechter Matchplan, oder ein schlecht ausgeführter. Auf 23 Prozent kamen die Deutschen in der ersten Hälfte. Das sagt auch viel über die Verzwergung des deutschen Fußballs.

Ebenso, wie über die Partie gesprochen wurde. Wück und seine Spielerinnen waren voll des Lobes über die eigene Leistung. „Wir können uns heute nichts vorwerfen“, befand Knaak. Man könne das Spiel der Spanierinnen nicht komplett verhindern, so Sara Däbritz. Vermutlich zu Recht hält man sich für spielerisch so weit unterlegen, dass es als große Leistung gilt, 113 Minuten lang zu verhindern. Die Kräfteverhältnisse haben sich ins Gegenteil gewandelt.

Dabei verfügt die DFB-Elf mit Klara Bühl und Jule Brand immer noch über zwei Offensivspielerinnen der Extraklasse. Darin aber erschöpfte es sich bei der EM auch zumeist. Das Offensivspiel der Deutschen ruhte maßgeblich auf der Hoffnung, dass den beiden schon etwas einfallen würde. Vieles fehlte schmerzhaft. Eine Mittelfeldstrategin etwa, eine Spielidee, ein gelungener Aufbau.

Die Deutschen zogen sich wieder zurück, nur waren sie dieses Mal zu elft

Es mangelt in der Zentrale auch an hochklassigem Personal: Däbritz oder Dallmann bringen keine Qualitäten als Spielmacherin mit, die gesperrte Nüsken wirkt oft zu abhängig von einem guten Spielverlauf, Senß spielte ein durchwachsenes Turnier. So bleiben viele Zufallsprodukte und Einzelaktionen. Zwischen dem eigenen Anspruch (Titelaspirantinnen) und dem Geschehen auf dem Platz klaffte eine riesige Lücke.

Nicht zufällig gingen die besten Chancen im Halbfinale allesamt aufs Konto der überragenden Klara Bühl, über deren Seite fast alles lief. Im Gegensatz zum fein abgestimmten spanischen Ensemble ist das DFB-Team hochgradig von seiner besten Spielerin abhängig. Und so hat es vielleicht auch der Gott des schönen Spiels so gewollt, das in der 113. Minute Bonmatí so denkwürdig traf und die Deutschen keine Chancen hatten, sich nochmal durchzuwursteln. „Mentalität schlägt Talent“, hatte Wück nach dem Viertelfinale gesagt. Glücklicherweise gilt das auch im Fußball nicht immer.

Bundestrainer Wück befindet, dass man nun eine gute Grundlage habe. Nach den limitierten Turnierauftritten eine sehr streitbare These. Den Mythos von den starken Leistungen begründete letztlich ein einziges Spiel, das in die Geschichte eingehen wird: die Willensleistung gegen Frankreich. Auch das sagt viel.

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