Nach Überschwemmungen in Spanien: Tausende werden weiter vermisst
Die Schäden durch die verheerenden Unwetter in Spanien sind größer als angenommen. Die Zahl der Toten dürfte noch deutlich steigen.
Doch damit nicht genug. In einem Dokument des Krisenstabes, das von der online-Zeitung elDiario.es veröffentlicht wurde, ist von 1.900 Vermisstenmeldungen die Rede. Selbst wenn davon manche doppelt gemacht wurden und andere wieder aufgetaucht sind, ohne den Behörden Bescheid zu sagen, wird die Zahl der Todesopfer ganz sicher erheblich steigen.
Um die Sucharbeiten zu beschleunigen, kamen am Samstagabend und Sonntag früh weitere 5.000 Soldaten in das Krisengebiet, um die regionalen Hilfskräfte und Feuerwehren zu unterstützen. Damit sind jetzt knapp 8.000 Soldaten im Einsatz – 1.200 davon aus der auf Katastrophen spezialisierten Militärischen Notfalleinheit UME.
Hinzu kommen 4.000 Polizisten. Weitere 5.000 werden entsandt. Unter anderem sollen sie Plünderungen verhindern. Es sei „das größte Aufgebot, das Spanien in Friedenszeiten je erlebt hat“, erklärt in einer Ansprache Ministerpräsident Pedro Sánchez.
Tiefgaragen als Todesfalle
Während am Wochenende Tausende von Freiwilligen aus dem Umland und dem restlichen Spanien der Bevölkerung bei den Aufräumarbeiten zur Seite standen, suchen Armee und Feuerwehren weiter nach Opfern. Eine Frau, die seit Dienstag in ihrem Auto eingeschlossen überlebte, wurde in Benetússer – einem südlichen Vorort der Stadt Valencia – gerettet. Und 30 Kilometer weiter die Küste entlang in Riola fanden die Rettungskräfte eine Frau mit ihrem Bay, die völlig isoliert überlebt hatten.
Doch solch gute Nachrichten sind selten. Die Retter befürchten, vor allem in den Tiefgaragen unter Wohnblocks und Einkaufszentren weitere Todesopfer zu finden. Vielerorts hatte es nicht einmal geregnet. Es waren die Fluten, die vom Oberlauf des Flusses Barranco del Poyo kamen, die die Dörfer zerstörten. Die Regionalregierung hätte Zeit gehabt, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen. Doch die Handys schrillten viel zu spät. Viele Menschen waren da bereits von den Fluten eingeschlossen oder hatten gar ihr Leben verloren.
Der Barranco del Poyo stieg durch den Starkregen schlagartig an und führte Wassermengen wie sonst nur Spaniens größter Fluss, der Ebro. Dort wo der Barranco del Poyo über die Ufer trat, verwandelten sich Straßen in reißenden Flüsse. Einfahrten zu Tiefgaragen wurden zu regelrechten Abflüssen mit riesigen Strudeln, die alles rundherum mitrissen.
In vielen Tiefgaragen befanden sich außerdem Anwohner, die – als das erste Wasser kam – glaubten, ihr Auto noch retten zu können. Eine verheerende Fehleinschätzung der Lage. In viele dieser Tiefgaragen konnten die Retter noch nicht vordringen, da sie erst einmal leergepumpt werden müssen.
Regionalregierung vollkommen überfordert
Fünf Tage hat die Regionalregierung von Valencia gebraucht, um die Rettungsarbeiten zu strukturieren. Am Samstagnachmittag trat der konservative Regionalpräsident Carlos Mazón vor die Presse und kündigte die Gründung von fünf Arbeitsgruppen zur Soforthilfe an – für Gesundheit, Wirtschaft, Arbeit, Wohnung, Soziales sowie Transport und Verkehr. In jeder dieser Gruppen soll neben den Regionalministerien auch die zuständigen MinisterInnen der Zentralregierung in Madrid vertreten sein, so bat Mazón den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.
Dieser hatte wenige Stunden zuvor in einer Institutionellen Ansprache Mazón aufgefordert, zu verlangen, was immer er brauche. Sánchez hatte gleichzeitig abgelehnt, direkt einzuschreiten, in dem er einen Alarmzustand ausrufen lässt, der der Regionalregierung die Kompetenzen entziehen würde. „Die valencianischen Behörden kennen das Gelände besser als jeder andere“, begründete er diese Entscheidung.
Mazón hob im Gegenzug die Notfallstufe nicht auf die Stufe 3 an. Dies hätte ebenfalls die Übergabe der Kompetenzen an Madrid zufolge gehabt. De facto jedoch – so analysiert die Presse – erkenne Mazón mit der Ankündigung, die Minister in die Arbeitsgruppen aufnehmen zu wollen, an, dass er und seine Verwaltung restlos überfordert sind.
Katastrophenalarm hatte Verspätung
Nicht nur, dass der Katastrophenalarm mit bis zu zwölf Stunden Verspätung auf die Handys kam; nach der Flut lehnte Mazón das Angebot der Nachbarregion Katalonien, 200 Feuerwehrleute zu schicken, ebenso ab wie die in Madrid eingegangene Offerte für Retter aus Frankreich. Zwei Hubschrauber aus dem südspanischen Andalusien flogen am Wochenende wieder nach Hause. Sie hätten keinen einzigen Auftrag zugeteilt bekommen, beschwerten sich die Verantwortlichen frustriert.
Erste Bestandsaufnahmen gehen davon aus, dass mindestens 77.000 Häuser und Wohnungen von der Überschwemmung betroffen sind. Dutzende Kilometer Gleise der Nahverkehrszüge müssen neu verlegt werden. Der Hochgeschwindigkeitszug Madrid- Valencia wird wohl kaum vor Mitte November wieder fahren. Und viele Straßen, darunter auch vierspurige Schnellstraßen, sind bis auf Weiteres nicht befahrbar. Das Wasser riss Teile der Fahrbahn und Brücken mit sich.
Während nach und nach die Strom- und Wasserversorgung in den betroffenen Gemeinden wieder hergestellt werden kann, befürchten die Rettungskräfte jetzt gesundheitliche Gefahren durch die Pfützen und Schlamm. „Nach 72 Stunden Hochwasser steigt die Ansteckungsgefahr, es besteht sofortiger Handlungsbedarf“, warnt José María Martín-Moreno, Professor für Präventivmedizin und öffentliche Gesundheit an der Universität Valencia. Zu den besorgniserregendsten Infektionskrankheiten durch Konsum und Kontakt mit verunreinigtem Wasser zählen Gastroenteritis, Hepatitis A und Leptospirose. Darüber hinaus könnten Haut- und Augeninfektionen auftreten.
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