Nach Überfall vor Somalia: US-Kapitän in Piratenhand
Vor Somalias Küste wehrt die US-Mannschaft eines Containerschiffs einen Piratenangriff ab. Doch die Seeräuber fliehen - mit dem Kapitän des Schiffes als Geisel.
NAIROBI taz Es begann als ein Piratenüberfall, wie man ihn vor der somalischen Küste inzwischen hinlänglich kennt. Doch 24 Stunden später hatte sich die Entführung der unter amerikanischer Flagge fahrenden „Maersk Alabama" zum Geiseldrama auf hoher See ausgeweitet. Seit dem frühen Morgen stehen sich im indischen Ozean ein Zerstörer der US-Marine und Piraten in einem Rettungsboot gegenüber, die den Kapitän der „Alabama" als Geisel halten. Die „USS Bainbridge" hat Hubschrauber und Raketen an Bord, doch die dürften bei der Befreiung kaum helfen. Was genau derzeit vor Somalias Küste passiert, behandelt die US-Marine ohnehin als Verschlusssache. Seit die „USS Bainbridge" eingetroffen ist, dringt keine Information mehr nach außen.
Das war vorher anders. Nachdem es der zwanzigköpfigen Crew überraschend gelungen war, die Piraten zur Aufgabe zu zwingen, riefen Besatzungsmitglieder zuhause und bei Radio- und Fernsehsendern an. „Wir versuchen, eines unserer Crewmitglieder zurück zu bekommen“, erklärte Seemann Colin Wright. „Die somalischen Piraten haben unseren Kapitän.“ Ken Quinn, zweiter Maat an Bord der „Maersk Alabama", erklärte das ungewöhnliche Ende der Kaperfahrt. „Wir hatten einen der Piraten als Geisel und haben ihn 12 Stunden lang festgehalten“, so Quinn. „Dann haben wir ihnen vorgeschlagen, die Gefangenen auszutauschen.“ Den Piraten habe man übergeben, der Kapitän sei aber nicht freigelassen worden. „Jetzt versuchen wir, ihn mit irgendetwas anderem auszulösen, mit Lebensmitteln oder so.“ Da war die „Bainbridge" noch mehrere Stunden Fahrt entfernt und die Besatzung auf sich allein gestellt. Die Seeleute klangen gestresst und ratlos.
Am Donnerstagfrüh kurz nach Sonnenaufgang hatten sich die Seeräuber der „Alabama" genähert, 400 Seemeilen von Somalia entfernt. Sie kaperten den Frachter, der Hilfsgüter für Somalia geladen hat, und steuerten in Richtung somalische Küste. Dass es der Besatzung gelang, die Gewalt über das Schiff zurückzugewinnen – das hatte es bisher vor Somalia nicht gegeben - dürfte daran liegen, dass sie der Reederei zufolge auf einer Militärakademie gezielt auf solche Situationen vorbereitet worden war. „Wir haben gute vorbeugende Maßnahmen getroffen und unsere Crew hat sich sehr gut verhalten“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der amerikanischen Maersk-Tochter Maersk Line, John Reinhart.
Die „Maersk Alabama„ ist seit 1845 das erste amerikanische Schiff, das von Piraten geentert wurde. Reinhart forderte ein härteres Durchgreifen gegen die Piraten: „Ich finde, man muss das Problem an der Wurzel packen. Wir müssen die Piraten suchen, finden, festnehmen und vor Gericht stellen.“ Manche Fragen über die Besatzung dürften frühestens nach Ende des Geiseldramas auf hoher See beantwortet werden. So ist es erstaunlich, dass sich gleich zwanzig Amerikaner an Bord befinden – normalerweise rekrutiert sich die Besatzung von Ozeanschiffen aus Billiglohnländern wie den Philippinen.
Womit es die US-Marine jetzt vor Somalia zu tun hat, ist eine klassische Geiselnahme, allerdings unter verschärften Bedingungen. Scharfschützen etwa können gegen das im offenen Meer schaukelnde Rettungsboot nicht eingesetzt werden. Jeder Kontakt mit den Entführern läuft zudem über Funk, Augenkontakt gibt es nicht. Am Mittag wurden die Forderungen der Piraten bekannt: außer Lösegeld fordern sie ein neues Schnellboot. Weiter verhandeln wollen sie zudem nur, wenn die „USS Bainbridge„ sich bis zum Horizont zurückzieht. Immerhin: Fliehen können die Piraten nicht, dazu ist das Rettungsboot nicht geeignet. Nur lange hinziehen könnten sich die Verhandlungen. Denn Rettungsboote für Schiffe dieser Größe sind mit Proviant und Ausrüstung für mindestens eine Woche ausgestattet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt