Nach Fälscher-Skandal beim „Spiegel“: Relotius geht gegen Moreno vor
Er konstruiere eine Figur, ohne sie zu kennen: Das wirft der frühere Starreporter des „Spiegels“ Juan Moreno vor. Der hatte Relotius' Fälschungen aufgedeckt.
Im Dezember 2018 gab der Spiegel bekannt, dass ihr Reporter Claas Relotius dutzende Geschichten ganz oder in Teilen gefälscht hatte. Aufgedeckt hat das der freie Mitarbeiter des Spiegels Juan Moreno, der seine Recherche und deren Ergebnisse kürzlich in dem Buch „Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus“ veröffentlichte. Doch nun wird Moreno selbst der Falschaussagen beschuldigt – und zwar von niemand anderem als Claas Relotius.
Laut einem Bericht der Zeit wirft Relotius, der von Medienanwalt Christian Schertz vertreten wird, Moreno vor, in seinem Buch an mehr als 20 Stellen „erhebliche Unwahrheiten und Falschdarstellungen“ zu verbreiten. Darunter befinden sich Kleinigkeiten, in denen es darum geht, ob Relotius in seiner Zeit beim Spiegel jeden Mittag mit Kolleg*innen zum Mittagessen ging oder seltener. Einige der Vorwürfe sind jedoch schwerwiegender.
Wie schon im Spiegel-Kommissionsbericht, der den Fall Relotius noch einmal komplett durchleuchtete, steht auch in Morenos Buch, dass Relotius 40 Journalistenpreise bekommen habe. Laut Relotius und der Recherche der Zeit sei das allerdings falsch. 19 Preise und zwei Auszeichnungen von Magazinen habe er bekommen.
Ein weiterer Vorwurf bezieht sich auf das erste Kapitel von Morenos Buch. Darin beschreibt er, wie Relotius eine feste Stelle im Gesellschaftsteil des Spiegel angeboten bekommen habe und diese ablehnte, da er sich um seine an Krebs erkrankte Schwester kümmern müsste. Wenige Seiten später schreibt Moreno: „Claas Relotius hat keine Schwester.“ Dass Relotius seine Schwester erfunden hat, gibt er selbst zu. Doch eine Krebserkrankung habe er nicht erfunden. Moreno gibt gegenüber der Zeit an, dass Matthias Geyer, der damalige Chef von Relotius, ihm die Geschichte erzählt habe. Das streitet Geyer nun aber ab. Es sei nie von einer Krebserkrankung die Rede gewesen und er habe auch niemandem in der Redaktion Derartiges erzählt.
Anwalt Schertz wird nun für seinen Mandaten Relotius dem Autor Juan Moreno und dem Rowolth Verlag eine Unterlassungsforderung zustellen. Relotius erklärt das gegenüber der Zeit wie folgt: „Ich stelle mich allem, wofür ich verantwortlich bin, aber ich muss keine unwahren Interpretationen und Falschbehauptungen von Juan Moreno hinnehmen. Ohne mich persönlich zu kennen oder mit Menschen aus meinem Umfeld gesprochen zu haben, konstruiert Moreno eine Figur.“
Es ist seine erste öffentliche Stellungnahme seit Bekanntwerden des Fälschungsskandals. Bisher ist nichts bekannt darüber, ob Relotius auch gegen den Spiegel-Kommissionsbericht oder andere journalistische Berichterstattung über ihn vorgehen wird.
Die Fälschungen des Claas Relotius sind einer der größten Journalismus-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Nicht nur der Spiegel, auch andere Medien wie der Tagesspiegel, Die Zeit oder das Reportagen-Magazin veröffentlichten gefälschte Artikel von Relotius. Nach Bekanntwerden wurde im deutschen Journalismus eine Debatte über Qualitätsjournalismus und das Genre Reportage ausgelöst.
Im Spiegel kam es in der Folge zu einigen Umstrukturierungen: Ullrich Fichtner, der Relotius für den Spiegel entdeckte, wurde nicht wie geplant Chefredakteur, Matthias Geyer, Relotius' vormaliger Chef, kein Blattmacher. Stattdessen leitet Özlem Gezer das Gesellschaftsressort, in dem Relotius gearbeitet hatte, unter dem neuen Namen „Reporter“ künftig allein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid