Nach Angriff auf Militärparade: Rätseln in Kabul

Zum Angriff auf die Militärparade in Kabul am Sonntag bekennen sich nicht nur die Taliban, sondern auch die Islamische Partei des Warlords Hekmatyar.

Angehörige tragen den bei dem Anschlag auf Präsident Hamid Karsai getöteten Vorsitzenden des Rates der schiitischen Minderheit der Kizilbasch, Nasir Ahmad Latefi.

KABUL taz Der Angriff auf die Parade in Kabul zum 16. Jahrestag des Sieges des Mudschaheddin über die Sowjets am Sonntag hat sechs Tote gefordert. Nasir Ahmad Latefi, Vorsitzender des Rates der schiitischen Minderheit der Kizilbasch, sowie ein zehnjähriger Junge starben unmittelbar an der Paradestrecke nahe des Sultan-Ghazi-Stadions im Südwesten Kabuls, letzterer wohl durch ungezielte Schüsse der Sicherheitskräfte. Drei Angreifer wurden erschossen. Noch am Nachmittag erlag der Parlamentsabgeordnete Fasl Rahman Zamkanai seinen Schussverletzungen. Unter den sechs Verletzten sollen auch Leibwächter von Präsident Hamid Karsai sein.

Karsai hatte gerade eine Parade abgenommen, als sich die Schüsse der Angreifer in den Ehrensalut mischten. Drei Bewaffnete nahmen vom Obergeschoss eines 300 Meter entfernten dreistöckigen Hotels die Ehrentribüne unter Feuer. Eine zweite Gruppe Angreifer feuerte Panzerfäuste ab, die ihr Ziel aber verfehlten.

Unklar ist, wer die Angreifer waren. Minuten nach dem Vorfall meldeten sich Anrufer bei afghanischen Radiosendern, um die Verantwortung zu übernehmen: Die einen gaben sich als Taliban aus, andere als von der Islamischen Partei Afghanistans (IPA). Die bekämpft unter Führung des Warlords und Ex-Premiers Gulbuddin Hekmatyar ebenfalls mit Waffengewalt die Karsai-Regierung. Während der Taliban-Sprecher nur auf den "Granatangriff" Bezug nahm, wies die IPA-Erklärung deutlichere Details auf.

Die Regierung setzte inzwischen eine Untersuchungskommission ein, die das Attentat aufklären soll. Ob sie je zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen wird, ist fraglich. Auch die Verantwortlichen eines Selbstmordanschlags im nordafghanischen Baghlan im November 2007, bei dem neben Dutzenden Schulkindern sechs Abgeordnete starben, sind bis heute nicht bekannt. Auch damals hatte es Hinweise auf die IPA gegeben, die dort stärker verankert ist als die Taliban.

Steckt die IPA tatsächlich hinter diesen Anschlägen, dann wird die Aufklärung dadurch erschwert, dass einer ihrer Flügel Teil des politischen Systems in Kabul ist. Im Parlament ist die IPA - inoffiziell - womöglich gar stärkste Partei. Viele Ex-Mitglieder finden sich sogar in Karsais direkter Umgebung. Dieser Parteiflügel hat sich zwar offiziell von Hekmatyar und vom bewaffneten Kampf distanziert. Aber viele afghanische Beobachter glauben das nicht. Auch der Unterschungskommission für den Baghlan-Anschlag gehörten mehrere frühere Hekmatyar-Anhänger an.

In der afghanischen Öffentlichkeit wurde gestern vor allem die Schwäche der Sicherheitskräfte debattiert. Die Tageszeitung Cheragh kritisierte sie dafür, das Hotel nicht gründlich durchsucht zu haben, von dem aus die Schüsse abgegeben wurden. Das Blatt sprach von einem "beschämenden Ereignis". Der Oppositionsabgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Nur-ul-Haq Ulumi, kritisierte, beim Aufbau nationaler Streitkräfte werde zu viel "auf Quantität, und nicht auf die Qualität" geachtet.

Das Verteidigungsministerium spricht von derzeit 70.000 Soldaten, die Nato hingegen ging Ende 2007 von nur 48.700 aus. Selbst davon ist bestenfalls die Hälfte wirklich einsatzbereit - wenn sie mit ausländischen Streitkräften zusammengehen. Die Polizei ist trotz Reformbemühungen immer noch ein Konglomerat ehemaliger Milizen, die ihren Bürgerkriegsfraktionen mehr Loyalität entgegenbringen als der Zentralregierung. Der afghanische Kommentator Wahid Mushda, ein Ex-Talib, vermutete gestern gar, der Anschlag könnte ein Inside-Job gewesen sein.

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