: Nach 3 Monaten ein komplett neues Styling
■ Zopf und Kunst bei „Prince“: So kommen Hamburger AfrikanerInnen zu ihren Frisuren Iris Schneider hat's erkundet
AfrikanerInnen in Hamburg haben es schwer. Nicht nur wegen unfreundlicher bis rassistischer Menschen. Das fängt schon bei ganz alltäglichen Dingen an, beim Wetter oder bei den Haaren zum Beispiel. Friseure gibt's zwar in der Hansestadt reichlich, aber der Figaro an der Ecke weiß mit der starken schwarzen Krause meist nichts anzufangen. Was tun? Zurück zur Natur? Ein Blick auf die gepflegten schwarzen Häupter in den U- und S-Bahnen belehrt eines Besseren. Da waren offensichtlich ExpertInnen am Werk.
Ein aufmerksamer Blick durch die Straßen und in die Läden bestätigt die Vermutung. Nicht wenige der Geschäfte, die afrikanische Lebensmittel und Kosmetik für Schwarze vertreiben, bieten auch die Verschönerung des Haupthaars an. Ob man da wohl mal ein bißchen zusehen kann, wie die Haarkunstwerke entstehen? Erstaunte Blicke, hochgezogene Augenbrauen und dann als Entschuldigung für die Ablehnung der Hinweis auf die eigene Unfähigkeit. Wer in einer rechtlichen Grauzone leben und arbeiten muß, drängt sich vorsichtshalber nicht nach Öffentlichkeit. Aber im „Prince-Salon“ am ZOB arbeite Hamburgs Star-Coiffeur für „Black Beauty“, dort gebe es sicher Möglichkeiten, die weiße Neugier zu befriedigen.
Auf den ersten Blick ein ganz gewöhnlicher Salon: Schwarze Kunstledersessel auf Rollen vor kleinen Tischen mit Spiegel drüber. Nur die Haarteile im Fenster fallen ins Auge. Erstaunen und Bedenken auch hier – aber dann öffnet sich die Tür.
Zusammen mit zwei Friseuren und einer Friseurin, die in Ghana eine Fachschule absolviert haben, widmet sich Prince den schwarzen Kundinnen und Kunden. Knapp 18.000 potentielle KlientInnen lebten 1993 in Hamburg, ein knappes Viertel von ihnen aus dem westafrikanischen Heimatstaat des Coiffeurs. Es herrscht eine ruhige und gelassene Atmosphäre: leise Musik, diskrete Gespräche. Da viele Besucher ebenso wie die Crew aus Ghana stammen, pflegt man das heimatliche Idiom. Männer begleiten ihre Frauen und bleiben auf ein Schwätzchen, und auch der eine oder die andere Bekannte schaut mal kurz vorbei. So ein Salon ist auch eine soziale Institution.
Wie überall haben es auch hier die Männer leichter als die Frauen. Bernard ist schnell mal reingeschneit, um sich die Haare trimmen zu lassen. Prince greift zum Rasierer und schafft einen Übergang zwischen Haut und Haaren, den man zwar sehen kann, der aber trotzdem nicht hart wirkt. Die Haare oben auf dem Kopf noch etwas mit der Schere gekürzt – fertig, 15 Mark bitte. Und Tschüß bis in zwei Wochen.
Margret muß da schon mehr Geduld aufbringen. Allein die Relax-Creme muß eine halbe Stunde auf die Haare wirken. Aber dann sind ihre Locken glatt: „Not just straight – bone straight“ wie die Werbung auf der Packung verspricht. Anschließend werden die Haare geschnitten und auf Wickler gedreht. Trockenhaube unausweichlich. Zwei Stunden braucht so eine elegante Frisur, die auf dem Gegenstück der weißen Dauerwelle, dem schwarzen Relaxing basiert. 60 bis 70 Mark kostet der Traum vom glatten Haar. Zwei Monate bleibt die Frisur so, dann ist eine neue Chemo-Kur fällig.
Kollege Jakob Sosah hat sich inzwischen einer Kundin mit schulterlangem Haar angenommen. Als er das Deckhaar hochnimmt, wird klar, daß es nicht die eigenen Locken sind, die da so üppig über die Schultern fallen. Fremde Haare sind kunstvoll mit den eigenen vernäht.
Die Fülle und Länge verleihenden Strähnen stammen meist aus China. Die kräftigen Flechten der Chinesinnen werden nach dem Schnitt gründlich vorbehandelt, ehe sie tressiert, das heißt auf ein schmales Band gewebt werden. Da asiatisches Haar sehr dick ist, wird es zuerst gespalten, dann gebleicht oder gefärbt und am Schluß erhält es noch eine großlockige Dauerwelle.
Diese Haarteile, die auch aus Kunsthaar hergestellt werden, vertreibt in Hamburg der Afro-Shop, schräg gegenüber von Prince-Salon. Seit hier Haar nicht nur verkauft, sondern auch frisiert wird, machen sich die beiden Konkurenz. Bevor man im Afro-Shop den Friseurbereich betreten kann, muß man erst einen Raum durchqueren, in dem Haare in jeder Länge und Farbe (inklusive rot und gelb) die Wände bedecken.
Salina beginnt gerade mit den Vorbereitungen für eine Haarverlängerung. Das geht übrigens nicht nur bei schwarzen Haaren, auch dünne norddeutsche Frisuren lassen sich so aufpeppen. Susann hat sich dazu in den Laden getraut, obwohl sie sich zwischen den schwarzen Friseurinnen „so anders“ fühlt. Quer um den Kopf flicht ihr die Ghanaerin mit der eindrucksvollen Hochfrisur eine Reihe strammer Zöpfe, deren Enden miteinander vernäht werden. Von unten nach oben wird dann auf jede Zopfreihe ein genau abgemessenes Stück Haarteil in doppelter Lage genäht, mit schwarzem Zwirn und einer Nadel, die an eine Ahle erinnert.
Zweieinhalb Stunden und stolze 560 Mark opfert Susann für ihre neue Haarpracht, allein die drei Haarteile kosten pro Stück 100 Mark. Am Ende fällt ihr eine Lockenmähne bis weit in den Rücken. Aber richtig freuen kann sie sich noch nicht. Die strammen Zöpfe verursachen ihr Kopfschmerzen: „Mann, sind die Haare schwer, ich kann gar nicht richtig gucken“, jammert sie. Salina und Pamin – auch sie gelernte Friseurinnen – betrachten sie mit Nachsicht. Nur beim erstenmal sei das so unangenehm, versichern sie. Waschen darf Susann ihre neuen Haare aber zunächst nicht selbst. Sie könnten dabei verfilzen.
Das Problem haben Salina und Gladys, die dritte im Bunde im Afro-Shop, nicht. Sie haben sich ihre Haare in hunderte von schmalen Zöpfen flechten lassen. Die geschickten Finger der Kolleginnen bewältigen so eine Arbeit in fünf bis sieben Stunden, zu zweit wohlgemerkt. Weniger geübte Flechterinnen sitzen schon mal bis zu zwölf Stunden an einem solchen Rasta-Kopfputz. Auch bei den Zopffrisuren sind fremde oder Kunsthaare im Spiel. Die werden mit den eigenen Haaren so dicht verflochten, daß nicht zu sehen ist, was eigene und was Ersatzflechten sind. 450 bis zu 1000 Mark muß frau für einen Kopf voller Zöpfe bezahlen. Nach drei Monaten sind die eigenen Haare dann soweit nachgewachsen, daß ein komplett neues Styling her muß. Salina hat sich mit den einfachen Zöpfen noch nicht zufrieden gegeben: In elegantem Schwung sind sie auf dem Hinterkopf zu einem Kegel aufgetürmt. Pamin hat ihr zu diesem Zweck erstmal einen kleinen Dutt aus Zöpfen geformt. Den hat sie dann mit den übrigen Haaren gleichmäßig umhüllt. Am Schluß wurde das ganze Gebilde mit Garn festgenäht und so fixiert. „Damit kann ich sogar schlafen“, versichert Salina.
Die Verwendung von Haarersatz hat in Afrika eine lange Tradition. Wahre Kunstwerke wurden da aus Haaren, Pflanzenfasern, Bändern und Schmuck geschaffen. Abenteuerliche Konstruktionen aus Bambus und Pferdehaar bereicherten die Formenvielfalt. Häufig war diese Pracht aber unter Tüchern und Schleiern verborgen. Im modernen Afrika sind diese Frisuren fast so selten geworden wie hierzulande die Trachten. Zeitgemäßere Varianten der filigranen Konstruktionen entstehen durch „Threading“. Dazu werden einzelne Strähnen eng mit schwarzem Garn umwickelt. Die Antennen, die so entstehen können in vielfältige Formen gebracht werden und tragen so klangvolle Namen wie Eko-Bridge, nach der Brücke, die die nigerianische Hauptstadt Lagos mit ihrem Hinterland verbindet. Ein souveräner Umgang mit der Zeit war und ist allerdings Voraussetzung für solche aufwendigen Frisuren.
Nicht nur mit Hilfe von Fremdhaar lassen sich schwarze Haare verschönern. Eine alte Methode ist das sogenannte Cornrowing. Dabei werden die Haare in schmalen Zöpfen, die eng am Kopf liegen, gebändigt. Die Flechten können die unterschiedlichsten geometrischen Muster bilden. Die erwachsenen, schwarzen Hamburgerinnen lassen sich aber nicht mehr auf diese Art verschönern. „Das ist was für Schulmädchen“, erklärt Gladys. Besonders in den USA war das Cornrowing jahrhundertelang der bevorzugte Haarschmuck, meistens aber verborgen von einem Kopftuch. Schön – aber nicht auffällig, das scheint noch heute die Devise der schwarzen Frauen zu sein, wenn es um die Frisur geht.
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