■ Tour d'Europe: Na dann, Mahlzeit!
Viele Tischregeln sind europaweit verbreitet, wenn auch in den verschiedenen Ländern unterschiedlich viel Wert auf ihre Einhaltung gelegt wird. So soll man möglichst geräuschlos essen, den Mund nicht zum Löffel führen, sondern denselben zum Mund; man darf Kartoffeln nicht zerquetschen, das Fleisch nicht zu Beginn der Mahlzeit in kleine Häppchen schneiden und die Ellenbogen nicht abwinkeln, damit man der Tischnachbarin nicht den Rosenkohl von der Gabel haut. In gewissen Kreisen springen noch heute die Herren auf, wenn eine Dame an ihren Tisch tritt. Fällt ihr dann auch noch die Serviette auf den Boden, muß der Tischnachbar sie wiederbeschaffen. Es gibt freilich auch regional abweichende Benimm-Normen innerhalb Europas. In Rußland beispielsweise hängen viele Tischsitten eng mit Aberglauben zusammen. So darf man eine leere Flasche nicht auf den Boden stellen, damit die Getränke im selben Haus nicht ausgehen. Außerdem plaziert man eine unverheiratete Frau nicht an einer Tischecke, weil sie sonst fünf Jahre lang keinen Mann bekommt. Das ist allerdings eher zu verschmerzen als das Schicksal, das an Tischecken sitzenden Frauen im tiefen Bayern droht: Sie bekommen eine böse Schwiegermutter.
In Polen, wo der Nationaldichter Adam Mickiewicz mit seinem Roman „Pan Tadeusz“ einen polnischen Knigge verfaßt hat, sitzt der Gastgeber noch immer am Kopf der Tafel, während in Italien alle Gäste knurrenden Magens warten müssen, bis der Tischherr zu essen beginnt. Ist er in ein Gespräch vertieft, gibt es für alle eine kalte Mahlzeit. Vor allem in Süditalien wird noch streng auf die Einhaltung dieser Regel geachtet.
In Rußland gilt Trinken ohne einen Trinkspruch als Alkoholismus. Mit einem flotten Spruch auf den Lippen kann man wiederum saufen, soviel man will. In Ungarn darf man dagegen auf keinen Fall mit Bier anstoßen: Auf diese Art haben nämlich die österreichischen Offiziere im vergangenen Jahrhundert die Hinrichtung der ungarischen Revolutionäre gefeiert. Mit Wein, Apfelsaft oder Kräutertee darf aber nach Herzenslust angestoßen werden.
In Schweden sind saubere Socken ratsam, ist man bei Bekannten zum Kaffee eingeladen: Es ist üblich, die Schuhe vor der Wohnungstür abzustellen. Wenn am Anfang lediglich vergammelte Kekse angeboten werden, muß man nicht gleich verzagen: Es ist in Schweden Sitte, daß die Qualität der Backwaren von Runde zu Runde besser wird, bis zum Schluß die Spezialitäten auf den Tisch kommen – sehr zum Verdruß der Kinder übrigens, denen es verboten ist, die unattraktiven Runden zu überspringen. Zum Schluß noch ein Tip, der für viele Länder Europas gilt: Wer beim Essen auf einen Nachschlag hofft, darf auf keinen Fall das Besteck nebeneinander auf den Teller legen, weil das fälschlich signalisiert, daß man satt ist.RaSo
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