: NUR DIE PFAFFEN HABEN SICHERE JOBS Von Ralf Sotscheck
Die IrInnen sind ein saudummes Volk, das man nach Herzenslust verarschen kann. Das glauben zumindest die Politiker und Beamten der Grünen Insel. Nachdem die irische Vertriebsfirma Eason am vergangenen Donnerstag den 'Guardian‘ einstampfen ließ, weil er die Telefonnummern britischer Abtreibungskliniken enthielt, versuchten Frauenorganisationen am Freitag, 20 Exemplare des moralgefährdenden Blattes per Bahnpost aus Belfast zu importieren. Sie hatten die Rechnung jedoch ohne die Zollbeamten gemacht. Die beschlagnahmten das Paket nämlich kurzerhand — nicht etwa wegen der Telefonnummern, sondern wegen des „kommerziellen Werts“ der Zeitungen. Das sei Routine bei „nichtverderblicher Ware“, behaupteten sie allen Ernstes. Rachel Milotte, die Empfängerin des Pakets, fügte sich der amtlichen Anordnung keineswegs, so daß die genervten Zöllner schließlich die Polizei zu Hilfe riefen. Diese verhaftete Milotte und nahm die Zeitungen als Beweismittel mit. Am Eingang des Polizeireviers gelang es Milotte jedoch, ein Exemplar des 'Guardian‘ zu entwenden und einer Gruppe von Frauen zuzuwerfen, die sich inzwischen zu ihrer Unterstützung eingefunden hatten. Daraufhin stürmten die Beamten auf die Straße und balgten sich mit den Frauen um die verbotene Zeitung, zogen aber den kürzeren. Die siegreichen Frauen stellten das heiß umkämpfte Blatt am nächsten Tag vor dem Laden der Vertriebsfirma Eason in der Dubliner Hauptgeschäftsstraße aus. Freilich hatten am selben Tag auch sämtliche irische Zeitungen die Telefonnummern der britischen Abtreibungskliniken abgedruckt — und das war völlig legal. Es gibt nämlich ein Gesetz, wonach Parlamentsdiskussionen unzensiert veröffentlicht werden dürfen. Der Vorsitzende der Demokratischen Linken, Proinsias De Rossa, hatte am Vortag die Zensur des 'Guardian‘ gegeißelt und die inkriminierte Werbeanzeige der Abtreibungskliniken Wort für Wort dem Parlament vorgelesen. Er versprach, diese Prozedur bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu wiederholen. Der Regierung war die Farce furchtbar peinlich, hatte Premierminister Albert Reynolds doch versprochen, die Informationsfreiheit per Referendum im Herbst festschreiben zu lassen. Den Wortlaut behält er allerdings nach wie vor für sich und zieht dadurch das tiefe Mißtrauen von Abtreibungsgegnern sowie -befürwortern auf sich. Die IrInnen müssen am 18. Juni über das EG-Abkommen von Maastricht abstimmen, das ein Zusatzprotokoll enthält, in dem Irland Autonomie in der Abtreibungsfrage zugesichert wird. Nach den widersprüchlichen Gerichtsurteilen der vergangenen Monate weiß inzwischen jedoch niemand mehr, wie die irische Rechtslage überhaupt ist. Die katholische Kirche wetzt inzwischen die Messer. Am Samstag liefen etwa 1.500 Menschen auf dem „Marsch für Jesus“ durch die Dubliner Innenstadt, am nächsten Tag demonstrierten gar 7.000 vor allem ältere Leute für „Our Lady of Gouadaloupe“, die einen abgetriebenen Fötus zu ihrer Zeit zum Leben erweckt haben soll.
Ein junger Mann sah in der Beschlagnahme des 'Guardian‘ eine gute Seite: Er lieh sich ein Exemplar, schrieb sich die Londoner Stellenanzeigen ab und freute sich, daß er an dem Tag aus Irland keine Konkurrenz hatte. Immerhin ist die Hälfte aller IrInnen wegen der hohen Arbeitslosigkeit zur Auswanderung gezwungen. Nur die Pfaffen haben sichere Jobs.
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