NSU und rechte Szene in Bayern: „Ein positiver Bezug zur Mordserie“
Die Taten des Terrortrios NSU beflügeln die rechte Szene in Bayern, sagt der Leiter der Antifaschistischen Informationsstelle. Neonazigewalt ist in Bayern nicht ungewöhnlich.
taz: Herr Buschmüller, die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten in Bayern steigt. In der vergangenen Woche fanden Polizisten in Bayern 200 größtenteils scharfe Schusswaffen und Munition sowie Hinweise auf Verbindungen in die rechtsextreme Szene. Wundert Sie das?
Marcus Buschmüller: Nein. Es scheint, als habe das Bekanntwerden der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die rechte Szene in Bayern beflügelt. Die Sprache und die Aktionen der Rechten sind aggressiver geworden. Im Internet mehren sich Bezüge auf die Taten des NSU und das „Paulchen Panther“-Motiv, das die Täter benutzten. Da steht zum Beispiel unter einem Text: „Wir kommen wieder, keine Frage.“ Und bei einer Neonazidemo am 21. Januar in München wurde aus dem Lautsprecherwagen die Titelmelodie von „Paulchen Panther“ abgespielt. Da wird also ganz klar ein positiver Bezug genommen auf diese Mordserie. Auch der Aktionismus der rechten Kameradschaftsszene in Bayern hat zugenommen.
Ihr Verein dokumentiert bereits seit Langem, dass rechte Gewalt in Bayern kein neues Phänomen ist.
Stimmt, das ist sie nicht. Im Gegenteil: Rechte Gewalt hat in Bayern eine lange Tradition, denken Sie an das Oktoberfestattentat 1980 oder an den Brandanschlag von Schwandorf 1987. Immer wieder werden bei Razzien Waffen gefunden. Vor diesem Hintergrund waren wir sehr erstaunt über dieses Erstaunen angesichts der Mordserie der Neonazis. Schön, dass das bayerische Innenministerium nun erkannt haben will, dass man bei der Neonaziszene in Bayern mal genauer hinschauen muss. Aber das hätte man wirklich früher haben können.
Fünf der zehn NSU-Morde wurden in Bayern verübt. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die NSU besonders viele Morde in Bayern beging?
MARCUS BUSCHMÜLLER, 48, ist Vorsitzender der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida), die seit 1990 rechte Umtriebe in Bayern beobachtet.
Für eine wirkliche Erklärung muss man sicher die Ermittlungsergebnisse abwarten. Die Kontakte im Kameradschaftsnetzwerk machen ja nicht an den Landesgrenzen halt. Ebenso wie nach Tschechien und Ungarn unterhält die rechte Szene in Bayern gute Kontakte nach Sachsen und Thüringen und umgekehrt.
Welche Rolle spielt die rechte Szene in Bayern für die Bundesrepublik?
Sie ist zwar zahlenmäßig kleiner als in anderen Bundesländern. Aber mit dem Freien Netz Süd haben wir mit Sicherheit eine bundesweit wichtige Struktur. Die Hauptkader sind schon seit Jahren aktiv und verfügen über gute Verbindungen und die entsprechende Erfahrung.
Haben Sie das Gefühl, dass in Bayern von staatlicher Seite genug gegen rechts getan wird?
Ich finde zunächst, es ist viel wichtiger, dass sich die Zivilgesellschaft gegen rechts engagiert, als alles dem Staat zu überlassen. Aber es ist schon erstaunlich, wie frei die Führungskader vom Freien Netz Süd in Bayern agieren können. Vielleicht liegt es an der fehlenden Schulung der Beamten, rechte Parolen und Hetze als rechtlich relevante Verstöße wahrzunehmen ebenso wie rechte Gewalt nicht als Schlägerei zwischen Jugendlichen einzustufen. Mit Sicherheit liegt es aber auch an der falschen Prioritätensetzung von oben. Immerhin hat Bayerns Innenminister nun zugegeben, dass die rechte Szene in Bayern unterschätzt wurde. Da muss man ihn in Zukunft beim Wort nehmen.
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