NS-Zwangsarbeit: Eine besondere Art der Entschädigung
Ein Berliner Verein kümmert sich um Kriegsgefangene, die im Nationalsozialismus Zwangsarbeit leisten mussten, aber bis heute kein Recht auf eine Entschädigung haben.
"Der Krieg ist mehr als 60 Jahre her, aber der Seelenschmerz heilt nicht." So beschreibt der sowjetische Kriegsveteran Nikolai Aleksandrowitsch Elkineines sein Trauma. Bis zum Kriegsende 1945 musste er in deutscher Gefangenschaft Zwangsarbeit leisten. Über die Bilder des Schreckens, die ihn jede Nacht verfolgen, kann er nicht sprechen. "Von den Erniedrigungen, die ich während dieser Jahre erlebte, erzähle ich niemandem. Das behalte ich in meinem Herzen." Dennoch hat er - anders als viele Zwangsarbeiter - keine Entschädigung erhalten. Um Menschen wie ihn kümmert sich deshalb der Berliner Verein Kontakte-Kontakty.
Etwa 8 Millionen Zwangsarbeiter wurden im nationalsozialistischen Deutschland und den besetzten Gebieten ausgebeutet, unter zumeist fürchterlichen Bedingungen. Seit 2001 wurden durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" Entschädigungen gezahlt. Die Hälfte der Kosten übernahm der Bund, die andere die deutsche Industrie.
Diese Maßnahme war weniger eine edle Geste als eine Reaktion auf Sammelklagen von Opferverbänden gegen deutsche Firmen. "Das Ergebnis waren pauschale Lösungen; die Schicksale wurden nicht individuell bewertet", erklärt Martin Bock, Bereichsleiter für die Frage nach Auszahlungen ehemaliger Zwangsarbeiter bei der Stiftung. Maximal 7.500 Euro erhielten die einstigen KZ-Häftlinge, 2.500 Euro waren für Zwangsarbeiter vorgesehen. 2007 wurden die Zahlungen abgeschlossen.
Doch das zugrunde liegende Stiftungsgesetz hat eine entscheidende Lücke. "Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung", heißt es darin knapp. Dadurch wird die Gruppe von Opfern, die während der Gefangenschaft Zwangsarbeit leisten mussten, nicht erfasst. Grund für diese Regelung ist die Genfer Konvention: "Danach dürfen Kriegsgefangene prinzipiell zur Arbeit herangezogen werden. Nach dem Stiftungsgesetz hat diese Regel Gültigkeit", bestätigt Bock.
So kommt es, dass Menschen wie Nikolai Elkineines bis heute kein Recht auf Entschädigungszahlungen haben. Denn er war nicht im Konzentrationslager, sondern "nur" im Arbeitslager. Leistungsberechtigt sind ehemalige Kriegsgefangene nur, wenn sie im KZ Sklavenarbeit verrichten mussten. "Welche Haftstätte heute als KZ definiert wird, wurde in den 50ern durch das Bundesentschädigungsgesetz bestimmt", erklärt Bock. Die mehr als 3.000 heute offiziell "andere Haftstätten" genannten Arbeits- und Erziehungslager mit katastrophalen Haftbedingungen fallen nicht unter diese Ausnahmeregelung.
"Ein Skandal ist das", ärgert sich Eberhard Radczuweit von Kontakte-Kontakty. Er hat den ehrenamtlichen Verein 1991 mitgegründet. Dessen Ziel: Ehemaligen sowjetischen Zwangsarbeitern soll geholfen werden. "Diesen Menschen wird in ihrem Ablehnungsbescheid ein Paragraf um die Ohren gehauen, dabei sind sie ohnehin schon psychisch stark belastet." Dazu kommt, dass die "Sterberate zurzeit sehr dynamisch ist", wie Eberhard Radczuweit es vorsichtig formuliert.
Im Klartext heißt das: Die Antragsteller sterben aus. Sein Verein sammelt private Spenden, 1,5 Millionen Euro sind bereits zusammengekommen. "Damit konnten wir 5.000 Betroffenen jeweils einen Betrag von 300 Euro überweisen - eine lächerliche Summe im Grunde." Insgesamt seien rund 20.000 Anträge auf Entschädigung abgelehnt worden.
Doch viel wichtiger als das Geld, so Radczuweit, sei das dazugehörige Anschreiben: "Darin drücken wir unsere Anerkennung des erlittenen Unrechts aus und unsere Beschämung über die formale Absage des Antrags auf Entschädigung." In langen Briefen, die der Verein auf seiner Homepage veröffentlicht, bedanken sich viele Angeschriebene für dieses Zeichen der Entschuldigung.
In den Schreiben werden oft furchtbare Erinnerungen geschildert: "Sie verpflegten uns miserabel und steckten uns in Totenkleidung, das heißt, sie gaben uns die Kleider, die sie den Toten zuvor ausgezogen hatten. Jetzt, wo ich dies offenbare, weine ich", steht in einer Antwort. Liest man diese Schreiben, zeigt sich eindringlich, wie individuell das Leiden erlebt wurde. Dem Verein gelingt es auf diese Weise, das selbst erklärte Ziel zu erreichen: konkrete Erinnerungsarbeit und Geschichtsaufklärung zu leisten.
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