NS-ZWANGSARBEITER: VOR ABWEISUNG DER KLAGEN IN DEN USA: Fetisch Rechtssicherheit
Kläger und Beklagte sind sich einig: Dem gemeinsam eingebrachten Antrag vor dem amerikanischen Bundesgericht in Newark (New Jersey) wird stattgegeben werden. Damit wären die Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen deutsche Firmen, zu deren Nutz und Frommen sie eingesetzt waren, abgewiesen. Die gestrigen Äußerungen des zuständigen Richters lassen an diesem Ergebnis kaum noch Zweifel. Bei dem Newarker Gericht waren die Klagen der Sklaven- und Zwangsarbeiter zusammengefasst, „konsolidiert“ worden. Mit der Abweisung ist allerdings immer noch nicht der Weg frei für Auszahlungen in diesem Jahr. Denn über die Klageabweisungen gegen Banken und Versicherungen soll erst noch entschieden werden.
Mit der zu erwartenden einvernehmlichen Abweisung hat die deutsche Industrie endlich die heiß ersehnte „Rechtssicherheit“, sprich: den Schutz vor zweimaliger Zahlung (einmal über den Entschädigungsfonds, einmal über gegen sie erwirkte Urteile) erreicht. Die „Rechtssicherheit“ war der Fetisch der deutschen Industrie gewesen, das erlösende Zauberwort. Wie alle Fetische war auch dieser überflüssig.
Das zeigt das Urteil des gleichen Bundesgerichts von New Jersey vom September 1998, als die Klagen von Zwangsarbeitern gegen Degussa, Siemens, Ford und andere abgewiesen worden waren – dies mit Hinweis auf die „political questions doctrine“, die unter bestimmten Bedingungen Handlungen der amerikanischen Regierung, hier die Verträge und Verhandlungen zum Reparations- und Entschädigungskomplex, der gerichtlichen Nachprüfung entzieht. „Gerichte“, so hielt damals der Bundesrichter Greenaway fest, „können kein Urteil über politische Verhandlungen der Exekutive und der internationalen Gemeinschaft fällen.“ Hätte die deutsche Industrie sich damals mit diesem Urteil begnügt, so wären internationale Verhandlungen viel kürzer ausgefallen und mit der Auszahlung hätte 1999 begonnen werden können.
Überhaupt nicht einsehbar ist, warum der Auszahlungsbeginn jetzt bis zur Erledigung der Klagen gegen Banken und Versicherungen verschoben werden soll. Dieser ganze Komplex hat nichts mit den Ansprüchen der Zwangsarbeiter zu tun und wurde von den betroffenen deutschen Firmen mit dem Stemmeisen in die Verhandlungen eingebracht. Es muss klar sein, dass an dem den Zwangsarbeitern zugestandenen 8-Milliarden-Anteil keinerlei Abstriche möglich sind. Am besten könnte dies gewährleistet werden, wenn die Gründer der „Stiftungsinitiative“ sich doch dazu durchringen würden, für die noch fehlenden knapp 1,5 Milliarden Mark eine Bürgschaft zu übernehmen. Es würde keine Armen treffen. CHRISTIAN SEMLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen