NS-Kriminalisten im BKA: Die braunen Wurzeln von Wiesbaden
60 Jahre nach der Gründung lässt das Bundeskriminalamt den Einfluss des Nationalsozialismus auf die Frühphase der Behörde untersuchen. Zahlreiche SS-Leute kamen dort unter.
WIESBADEN taz | Zum Beispiel Josef Ochs. Der war einst SS-Obersturmführer und für die Verfolgung von Sinti und Roma zuständig - und durfte später dennoch im Bundeskriminalamt (BKA) Staatsschützer werden. Dort konnte er 1952 Zürich, Paris, Amsterdam und München zu "Zentralen des Judentums in Europa" erklären und sich für die Einrichtung von "Internierungslagern" aussprechen.
Nur wenige Wochen nachdem das BKA seinen 60. Geburtstag feierte, hat sich das Amt am Mittwoch in seiner Wiesbadener Zentrale nochmals öffentlich mit seiner braunen Anfangszeit auseinandergesetzt. "Mit unserer Geschichte umgehen heißt: Wir müssen die Unsäglichkeiten, die Rechtsperversionen, das scheußlichste Inventar an Leidenszufügung immer wieder zur Sprache bringen", sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke.
Schon vor dreieinhalb Jahren hatte Ziercke zu drei Kolloquien eingeladen, um über den Einfluss des Nationalsozialismus auf das BKA zu diskutieren. Reichlich spät, aber immerhin - doch selbst das war manchen Polizeibeamten zu viel. "Hat das BKA nichts Besseres zu tun?", war ein Text in einem Gewerkschaftsblatt überschrieben.
Nach den Kolloquien vom Sommer und Herbst 2007 wurde zusätzlich ein Team von Wissenschaftlern um den Historiker Patrick Wagner von der Universität Halle-Wittenberg beauftragt. Das hat nun erste Ergebnisse seiner Forschung präsentiert.
Im BKA kamen zahlreiche NS-Verbrecher unter
Wagner verwies darauf, dass im 1951 gegründeten BKA zahlreiche NS-Verbrecher unterkamen. "Die Teilnahme an den Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus war für sich genommen kein Ablehnungsgrund", sagte Wagner. Auch Mitglieder mobiler Mordkommandos in Osteuropa ("Einsatzgruppen") wurden ins Bundeskriminalamt geholt.
1958 waren fast alle Führungspositionen mit ehemaligen Nazis besetzt, von 47 leitenden Beamten des BKA waren 33 einst bei der SS.
Wie konnte es dazu kommen? Laut Wagner war es vielen Kriminalern zum einen gelungen, die Legende zu stricken, sie seien nicht freiwillig zur SS gegangen - eine dreiste Lüge.
Zum anderen war da die historische Situation Anfang der 50er: Mit dem beginnenden Kalten Krieg sei man auf erfahrene "Fachleute" angewiesen, habe ein Argument damals gelautet, so Wagner. So kam etwa der einstige SS-Hauptsturmführer Theo Saevecke zum BKA - ein Mann, dessen Kommunistenhass sogar dem CIA zu heftig war.
Und: Es gab mächtige Seilschaften im neu gegründeten BKA. "Charlottenburger" hießen die "Altkriminalisten" um Paul Dickopf. In Berlin-Charlottenburg hatten er und seine Männer sich an der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei ausbilden lassen. Dickopf wurde zu einem der Architekten des BKA und 1965 sogar dessen Präsident. Als "Vorbild für die gesamte deutsche Polizei" würdigte ihn die Politik zum Abschied.
All das ist nicht ganz neu. So hat der frühere BKA-Kriminaldirektor Dieter Schenk schon vor zehn Jahren in seinem Buch "Die braunen Wurzeln des BKA" auf die personellen Kontinuitäten aufmerksam gemacht. Wagner ging es aber um mehr als die Untersuchung der "kalten Amnestie". Er wollte die Kontinuität kriminalistischer Konzepte und Kategorien aus der NS-Zeit in der BRD untersuchen.
Für die Frühzeit des BKA lässt sich zeigen, dass Beamte polizeiliche Sondermaßnahmen gegen Gruppen forderten, die vor 1945 Opfer der NS-Vernichtungspolitik wurden: gegen Sinti und Roma, die mal "Zigeuner", mal "Landfahrer" genannt wurden.
Noch 1967 gab ein leitender BKA-Mann einen Leitfaden heraus, in dem es hieß: "Zigeuner leben in Sippen und Horden […]. Der Hang zu einem ungebundenen Wanderleben und eine ausgeprägte Arbeitsscheu gehören zu den besonderen Merkmalen eines Zigeuners."
Noch 1983 musste der Zentralrat der Sinti und Roma gegen eine Sondererfassung im Polizeisystem demonstrieren.
Bis 2001 habe sich das BKA an der Diskriminierung von Sinti und Roma beteiligt, sagte Wagners Mitarbeiter Andrej Stephan.
Die Täter sind inzwischen tot
Erleichtert hat den offenen Umgang des BKA mit seinen braunen Wurzeln sicherlich, dass die Täter inzwischen tot sind. Doch die Opfer sind es eben noch nicht allesamt, und so sagte der als Jugendlicher von den Nazis verfolgte Ralph Giordano in Wiesbaden: "Dies ist für mich eine große Stunde, ein Befreiungsschlag."
Eine Grenze kennt das Aufräumen mit der braunen Vergangenheit dennoch. Die Straße, in der die BKA-Zweigstelle in Meckenheim steht, trägt immer noch den Namen des Mannes, der die "Charlottenburger" aus der SS-Führerschule einst in hohe Ämter hob: Paul Dickopf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“