NOTIZEN ZUR STIMMUNGSLAGE DER NATION — TEIL IV: Eingeschlafener Kohl und Asylantengedöns
Die Gewerkschaften und die Apfelpreise schlagen den rheinischen RentnerInnen auf die Frohnatur ■ Auf den Schienen Bascha Mika
Mit dem wilden Mut der 80jährigen wollen sie sich die Stimmung nicht vermiesen lassen. Die RentnerInnen, mit dem Seniorenpaß der Bundesbahn unterwegs ins Rheinland, sind fidel und entschlossen, sich endlich mal was zu gönnen im Leben. Und wenn sie jemand daran hindern will, verfinstern sich die rosigen Gesichter über den Perlenketten und offenen Hemdkragen. „Dat ist doch nit rischtisch, wat die Gewerkschaften da machen“, pustet eine dickliche Dame. „So vill zu verlange. Dat treibt doch die Preise hoch un uns Alten jibt man nur 2,7 Prozent dazu. Wir Rentner jehen eben nit up die Straß. Willi!“ stubst sie ihren Mann, „et is schon Wesseling, wir müsse aussteijen.“ Doch Willi will auch noch was sagen: „Die in Bonn machen, wat sie wolln, und wir han nix mehr zu kamellen.“
„Die sind am spinnen, mit ihrem Jäger 90“, macht ein anderer Senior weiter. „Wir sin doch nit mehr bedroht. Wat brauchen wir noch 50 Milliarden für de Bundeswehr? Un die Leut haben kaum noch wat zum essen. Das Kilo Äpfel“, grollt der ehemalige Kalkulator, „kostet sechs Mark. Da krisch ich ja en Kilo Kotlett für.“ „Un dä Kohl“, mischt sich seine Frau ein, „läßt alles schleifen. Der ist doch am einschlafen.“ „Die Stimmung ist schlecht“, resümiert ihr Mann, „weil die Leute ausjepowert und ausjequetscht werden. Wenn jetzt Wahlen wären, würde der Schönhuber noch mehr Stimmen kriejen.“
Im Abteil nebenan macht sich eine zart gebaute Weißhaarige aus einer Kaufmannsfamilie Gedanken über den Abgang von Genscher. „Im Moment ist es eine schwierige Zeit. Und so sehr ich verstehe, daß Genscher hat Schluß machen wollen, der Zeitpunkt ist ungünstig.“ Da habe sie doch heute in der Zeitung gelesen, daß Weizsäcker einen Lastenausgleich zugunsten des Aufbaus im Osten fordere — als ob ihre Generation nach dem Krieg nicht schon einmal gezahlt hätte. „Ich wäre sehr gern optimistisch. Aber unser Geld verliert an Wert, wir sind auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig, und jeder denkt nur an sich.“ Opfer wolle niemand mehr bringen. Wenn schon die Müllmänner soviel verdienen wollten wie die Akademiker, wäre das Land bald kaputt.
Ein ehemaliger Schweißer, mit mindestens 120 Kilo Lebendgewicht, und seine Frau, die ihm höchstens bis zur Gürtelschnalle geht, packen ihren Reiseproviant aus. Seine Ohren sind nicht mehr gut, aber beim Stichwort Ausländer wird er hellhörig. „Dieses ganze Asylantengedöns“, flucht er grob, „die sollen sie alle rausschmeißen. Sind wir denn das einzige Volk, das sie nehmen kann? Das alles nur nach uns hin kommt, is doch nich nötig.“ Eine andere Mitreisende zeigt freundlich ihre dritten Zähne und meint: „Dat mit dene Asylanten stinkt den Leuten. Die Rejierung erzieht sich ihre Terroristen selber. Weil die meisten sind arbeitslos, und wer die Arbeit kriejen tut, sind die Ausländer.“ Der kleine Mann könne gar nichts tun. Das sei bitter.
Sieben Geißlein und ein Wolf seien sie, kichert eine Reisegruppe munterer alter Damen mit einem Herrn. „Wir haben einen Krieg mitgemacht, wir haben gearbeitet, und jetzt geht es uns gut!“ Ständig seien die Leute unzufrieden, aber statt zu wählen, würden sie nur motzen. Doch eine Seniorin ist schon dabei, ihre Unzufriedenheit anzugehen: „Frollein, sagen Sie doch bitte der Bundesbahn, daß sie viel mehr Nichtraucherabteile einrichten muß!“
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