NORDKOREA: OHNE DRUCK WIRD SICH NICHTS ÄNDERN: Botschaftsflüchtlinge verpflichten
Wieder sind verzweifelte Nordkoreaner auf exterritoriales Gelände in Peking vorgedrungen, um ins Ausland zu fliehen. Zum zweiten Mal betraf es jetzt deutsches Hoheitsgebiet. Indem Berlins Botschafter schnell handelte und den Zutritt chinesischer Polizisten verhinderte, schuf er Raum für eine humanitäre Lösung, die wohl auf Ausreise hinausläuft. Mit der Erfahrung der DDR-Flüchtlinge in der BRD-Botschaft in Prag 1989 hat Deutschland hier nicht nur eine ähnliche Geschichte, sondern auch besondere Verpflichtungen.
Bisher verliefen die Fluchten über die Botschaften in Peking und ein weiteres Drittland Richtung Südkorea glimpflich, denn es ging immer nur um eine kleine Zahl von Flüchtlingen. Deren Abreise ließ sich weitgehend hinter den Kulissen regeln, was auch einen Gesichtsverlust Chinas und Nordkoreas vermied. Doch die Zahl der Botschaftsflüchtlinge wächst, nicht zuletzt weil dahinter das große Elend der Menschen in Nordkorea steht, für die eine Flucht über China der einzige Ausweg ist.
Doch je mehr Nordkoreaner öffentlichkeitswirksam die Flucht über die diplomatischen Vertretungen versuchen, desto größer wird der Handlungsdruck auf Peking, Pjöngjang und das Ausland. Ein Massenexodus, das zeigen auch die Prager Botschaftsflüchtlinge von 1989, könnte der Anfang vom Zusammenbruch Nordkoreas sein. Daran hat aber trotz des von Diplomaten hinter vorgehaltener Hand geäußerten Verständnisses für die Not der Flüchtlinge niemand ein Interesse. Ein Massenexodus könnte immer größere Flüchtlingsströme auslösen und letztlich sogar Südkorea dazu bringen, selbst die Grenze nach Norden zu schließen und keine Nordkoreaner mehr aufzunehmen – ähnlich wie die USA den kubanischen „Balseros“ 1994 die Aufnahme verweigerten, als Havanna sie plötzlich zu tausenden ausreisen ließ.
In den letzten Jahren bildete sich in der internationalen Gemeinschaft der Konsens heraus, lieber das heruntergewirtschaftete Nordkorea zu stabilisieren und auf einen langsamen, aber kontrollierteren Wandel durch Annäherung zu hoffen als auf den Zusammenbruch des Regimes, wie das Ziel noch zu Zeiten des Kalten – und in Korea von 1950 bis 1953 sehr heißen – Krieges lautete. Bisher fand dieser Wandel des Systems jedoch kaum statt; in Nordkorea wird sich nicht freiwillig, sondern nur durch Druck etwas ändern. Die Flüchtlinge sind dabei nicht nur ein Indikator für die Not, sondern auch, so zynisch es klingen mag, ein Indikator des Drucks und ein Druckmittel zugleich. Das Problem für alle Beteiligten – Nordkorea, Südkorea, China und alle diplomatischen Vertretungen – sind nicht die 15 Botschaftsflüchtlinge, sondern die 23 Millionen Zurückgebliebenen. SVEN HANSEN
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