NORDIRLAND: DIE KATHOLISCHE SEITE HAT VIEL ZU VERLIEREN: Die große Schlacht blieb diesmal aus
In Nordirland herrscht Einmütigkeit: Es hätte schlimmer kommen können. Am 12. Juli, dem Tag, an dem die Protestanten den Sieg ihres Königs Wilhelm von Oranien über seinen katholischen Schwiegervater Jakob feiern, gab es diesmal nur ein paar Straßenschlachten und viel weniger Verletzte als im vorigen Jahr. Die Oranier-Paraden könnten sogar Nordirlands Mardi Gras – eine Art Karneval – und eine touristische Attraktion werden, wenn sie vom Stammesdenken befreit würden, prophezeit John Hume, Friedensnobelpreisträger und Chef der katholischen Sozialdemokraten.
Doch die Paraden der Oranier sind Ausdruck des jahrhundertealten Konflikts, es sind Triumphmärsche, mit denen die Protestanten ihre Überlegenheit demonstrieren wollen. So kommt es an den Brennpunkten, wo katholische und protestantische Viertel aneinander grenzen, auch weiterhin jede Nacht zu Straßenschlachten. Warum es am symbolischen Datum dennoch recht friedlich blieb, lag auch an einem Schachzug des Belfaster Polizeichefs Alan McQuillan. Er hatte behauptet, die Irisch-Republikanische Armee (IRA) plane Krawalle und Anschläge auf die Oranier. Das war zwar erfunden, aber er brachte damit Sinn Féin, den politischen Flügel der IRA, in eine missliche Lage. Wäre es zu Ausschreitungen gekommen, hätte Sinn Féin nicht behaupten können, es habe sich um eine spontane Entladung der Wut über die Triumphmärsche gehandelt. So gingen die Sinn-Féin-Politiker auf die Straße und wiegelten ab.
Sinn Féin hat viel zu verlieren. Die protestantische Unionistische Partei hat ein Ultimatum gestellt: Falls Sinn Féin nicht bis zum 24. Juli aus der Mehrparteienregierung entfernt wird, weil die IRA nach wie vor aktiv sei, will der Premierminister und Friedensnobelpreisträger David Trimble zurücktreten. Damit wäre man von einer politischen Lösung des Konflikts weiter denn je entfernt. Diese Lösung kann aber nicht über die Entpolitisierung der Paraden funktionieren, wie John Hume sich das wünscht. Umgekehrt ist es richtig: Wenn der Konflikt irgendwann einmal gelöst ist, sind diese provokanten Märsche überflüssig. RALF SOTSCHECK
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