: NO MORE STORIES
■ Das Frankfurter Ballett in der Freien Volksbühne
Es geht nicht um Geschichten, nicht um Königsmorde und Liebe, auch nicht um die Dramen des Inneren oder den expressiven Ausdruck der Zuckungen der Liebe. Entleert wird die Sprache des klassischen Balletts und modernen Tanzes von dem Sinn, den ihr ein Zeichensystem von Kostümen und Requisiten, von identifizierbaren Personen-Konstellationen und dramatischen Zuspitzungen übergezogen hat. William Forsythe, der Choreograph des großen Frankfurter Ballett -Ensembles, seziert die Bewegungen, zerdehnt sie, friert sie ein und verschraubt sie neu. Doch was dabei übrigbleibt und zunächst nur aussieht wie abstrakte Muster und bloßgelegte Strukturen, entfaltet in den virtuosen Ausführungen eine eigene Suggestion: körperliche Erfahrungen, angespannte Zustände, Verschiebungen in der Wahrnehmung dessen, was als real gilt, Abhandenkommen der Sicherheit über den Ort und die Autonomie des Subjekts - diese schwer faßbaren alltäglichen Verwirrungen finden sich in den Stücken Forsythes und seines Komponisten Tom Willems wieder.
Mit dem Thriller „In the Middle, Somewhat Elevated“ nagelt das Ballett Frankfurt die Zuschauer zuerst in ihre Sessel. Als hätten die Tänzer gespannte Saiten statt Sehnen in ihren Körpern, so hieb die schrille und kreischende Musik auf sie ein. Unerwartet, wenn man glaubt, nun schon den Höhepunkt der Verausgabung überschritten zu haben, peitschte der Ton aufs neue los und schnellten die Tanzenden. Ein Gefühl, als würden bei der Achterbahn die Bremsen versagen und sich die jungen Männer zum Mitreisen als Bremser an deinen Wagen schmeißen, um den Stoß abzufangen, greift beklemmend über: die Bewegungen scheinen eine Beschleunigung erreicht zu haben, die nur noch von außen gestoppt werden kann, die abrupt abgebrochen werden muß. Zugleich aber hätte man, der verletzend ins Ohr schneidenden Tonspur zum Trotz, sich ewig diesem Rausch der Energie hingeben können.
In der „Befragung des Robert Scott“ läßt Forsythe über Willems an- und abschwellende Musik Texte in strengen, regelmäßigen Wortketten sprechen. Ein Verhör, Handlungsanweisungen, Erklärung eines täuschenden Tricks: es wird nach einer Geschichte gefragt, in der der Befragte seine eigene Rolle nicht kennt. Die Beteiligung des Bewußtseins an der Handlung wird wie in einer Gehirnwäsche zerstört, die Antriebskräfte des Subjekts seinem Willen und seiner Beurteilung entzogen. Dabei entwickelt das große Ensemble seine Bewegungsabläufe in unterschiedlichsten Geschwindigkeiten, deren Simultanität den Zeitbegriff verwirrt. Fast in Trance gerät man immer tiefer in eine irritierende Leere.
Ironischer Kommentar zum Ethno-Tanz-Kult und zum „Keep-on -moving“ einer um jeden Preis erlebnishungrigen Generation liefert „Skinny“. Der Traum von der exotischen Ferne wird unter den stampfenden Schritten der Massen niedergewalzt.
Katrin Bettina Müller
Am Donnerstag zeigt um 19.30 Uhr das Ballett Frankfurt die drei Stücke „Steptext“, „Same old Story“ und „New Sleep“.
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