NIEDERLÄNDISCHE GRAPHIKEN: Von Bäumen und Bauern
Hamburgs Kunsthalle zeigt niederländische Zeichnungen der Vergangenheit und verheddert sich dabei in historischen und geographischen Spitzfindigkeiten.
Eine Ausstellung über die Niederlande ist gar nicht so ohne. Nicht, weil das Land zu weit weg oder zu exotisch wäre. Sondern weil es keine Einheit war und ist, sondern bis heute unterteilt in Flamen und Wallonen. Die bekriegen einander zwar heute nicht mehr, aber um 1581, vor der Abspaltung des protestantischen Nordens, war das anders.
All das spiegelt sich auch in der Kunst, ohne dass sich daraus klare Folgerungen ableiten ließen. Im Gegenteil: Der Versuch einer Unterscheidung zwischen flämisch-katholisch und holländisch-protestantisch wirkt nicht nur irritierend, sondern auch deplatziert in unserer kosmopolitischen Zeit.
In diesem Fallstrick haben sich die Kuratoren der aktuellen Schau über niederländische Zeichnungen zwischen 1450 und 1850 in der Hamburger Kunsthalle verheddert. Denn irgendwie mussten sie jene 120 Werke aus ihrer 1.400 Blätter starken Sammlung niederländischer Graphiken, die jetzt in einem Katalog aufgearbeitet wurde, sortieren. Und da wollte man eben nicht nur chronologisch, sondern auch historisch und politisch präzise sein.
Das hätte auch funktionieren können, wäre man nicht darauf verfallen, im Laufe des Parcours die Ordnungskriterien zu verändern: Was von 1450 bis 1600 nämlich noch allgemein unter "niederländisch" firmiert, wird vom 17. Jahrhundert an plötzlich in "katholisch-flämisch" und "protestantisch-holländisch" unterteilt, als sei dieser Unterschied plötzlich entstanden und mit ihm stilistische Differenzen.
Ohne Erklärung brechen die Ausstellungsmacher also mit der zuvor unterstellten Homogenität und wiederholen so eine frühe hanseatische Engstirnigkeit: Flämische Malerei, so ist in der Ausstellung zu lesen, sei in der Sammlung vergleichsweise schwach vertreten, weil die Hamburger Mäzene seinerzeit vor allem Werke aus den Nordniederlanden gekauft hätten, denen sie sich als Protestanten verbunden fühlten. Das verträgt sich kaum mit der sprichwörtlichen hamburgischen Weltoffenheit, aber vielleicht war das Marketing damals noch nicht so weit.
Tatsache ist jedenfalls, dass die flämischen Gemälde des 17. Jahrhunderts hochwertig sind: Figurenstudien und Stillleben Jan Brueghels, Anton van Dycks, David Teniers und Jacob Jordaens finden sich hier - und die wären Hamburg aus ideologischen Gründen also fast entgangen.
Da kann man von Glück sagen, dass Rembrandt Protestant war, sonst hätten Hamburgs Sammler vielleicht auch ihm misstraut. Die Kunsthalle zeigt hier allerdings nicht nur Rembrandt-typische Figuren. Sie offenbart vielmehr dessen explizit komische, fast groteske Facette - etwa in seiner Zeichnung eines Schauspielers, dessen Gesicht eine zum Grinsen erstarrte Maske ist. Grotesk, fast ins Abstrakte gezogen und daher nicht persönlich verletzend oder gar respektlos wirkt das Blatt.
Willem van Mieris, gut 60 Jahre nach Rembrandt geboren, überschreitet diese Schwelle: Die Züge seines "Alten Leierspielers" erinnern sehr deutlich an Rembrandts jüdische Figuren - nur, dass Mieris Figur verschlagen, fast boshaft dreinblickt. Möglich, dass dies bloß ein mäßig gelungener Verweis auf den Übervater ist. Denkbar aber auch, dass hier ein kleiner Antisemitismus aufscheint, getarnt als halbherzig hingeworfene Kopie.
Was die Hamburger Schau noch bietet? Bukolik und viel Landschaft - Themen, die man von niederländischer Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts erwartet. Andererseits schnappt hier eine Klischee-Falle zu: in der reflexhaften Verbindung etwa Pieter Bruegels mit Bukolik. Mit niedlichen Bauernszenen, die der Städter so zu vermissen meint und die ihn an seine ganz privat gepflegte Idee von der Insel der Seligen erinnern. Oder, schlimmer noch, an naive Malerei unserer Tage.
Dabei ist Bruegel von derlei Oberflächlichkeiten weit entfernt: Die bei der Heumahd trinkenden Bauern seines "Sommer"-Blattes sind nur Anlass für eine schlaue Reflexion der in der Renaissance wieder entdeckten Zentralperspektive. Denn Bruegel wagt mehr: Er bewegt sich auf dem Grat zwischen Zwei- und Dreidimensionalität und verweist auch auf Heiligenbilder des Mittelalters, die diese Technik pflegten. Zudem hat er ein Feld, das zum Fluchtpunkt führt, so gekippt, dass eine verzerrte Wahrnehmung entsteht, wie sie Jahrhunderte später die Expressionisten kultivierten.
Auch Jacob van Ruisdael, dem allseits beschworenen Maestro der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, interessierten Baum und Strauch nur mittelbar. Er wollte mit Perspektive spielen. Wollte mehr auf ein Bild bringen, als man in natura sehen kann, und das tat er, indem er das, was aufgrund der Erdkrümmung normalerweise nicht sichtbar ist, hinten - sprich: in der oberen Bildhälfte - mit abbildete. Ein Effekt wie auf einer schräg ansteigenden Theaterbühne also. Der gelang ihm sogar bei so etwas Profanem, nicht-Hügeligen wie jener Dünenlandschaft, die Hamburgs Kunsthalle zeigt.
Bis man den erwähnten optischen Trick begriffen hat, dauert es eine ganze, vergnügliche Weile. Danach berührt es einen nur noch mäßig zu erfahren, dass niederländische Landschaften exakt im Moment der Unabhängigkeit von Spanien zum Top-Thema avancierten, will sagen: aus patriotischen Gründen.
Und so stapft man hin und her in dieser Ausstellung, reflektiert mal über Stile, mal über Politik und bleibt ambivalent zurück: Künstlerisch ist diese Schau für den, der filigrane, hochkarätige Zeichnungen schätzt, ein Gewinn. Strukturell aber bleiben Fragen: Trägt eine an nationalen Kriterien orientierte Schau? Sind die vermeintlichen Trends nicht bloß nachträglich hineingedeutet? Steht das Porträt des anonymen niederländischen Meisters von 1460, das die Schau eröffnet, italienischen Kollegen nicht näher als seinen Landsleuten?
Man kennt die Antwort, denn Künstler waren immer Reisende. Und sie hätten es nicht geschätzt, zwischen Kollegen eingezwängt zu werden, die zufällig aus derselben Gegend stammten.
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