NEUE RAUMORDNUNG: Große Freiheit auf dem platten Land
Schleswig-Holsteins schwarz-gelbe Landesregierung will die Bebauungsgrenzen abbauen und das Land bis 2025 der Konkurrenz der Gemeinden überlassen. Verbände und Kommunen werden nicht mehr gehört.
Das Entsetzen zog sich in der vergangenen Woche durch Städte, Umwelt- und Wohnungsbauverbände, Handelskammern und den Einzelhandel: Bis zur Sommerpause will die CDU / FDP-Regierung einen neuen Landesentwicklungsplan für Schleswig-Holstein erlassen, der die Verantwortung für Neubauten ganz auf die Kommunen überträgt. Der gerade ein Jahr alte Vorgängerplan der Großen Koalition hatte das Wachstum von Gemeinden in ländlichen Räumen auf acht Prozent begrenzt.
Künftig soll nun jede Gemeinde unabhängig von Entwicklungsachsen und zentralen Ortschaften Wohnsiedlungen oder große Einkaufszentren zulassen können. Ziel sei die Chance auf "gewerbliche Entwicklung" überall, sagte Innenminister Klaus Schlie (CDU) vorige Woche im Landtag. Die Regierung vertraue darauf, dass sich die Gemeinden auf eine sinnvolle Bebauung verständigen würden.
"Die Planung wird an den Markt abgegeben", sagt hingegen BUND-Geschäftsführer Hans-Jörg Lüth. Der Landesrechnungshof formuliert seine Sorge vorsichtiger: "Unser Anliegen ist es, dass sich Behörden weiterhin in zentralen Orten konzentrieren", sagt Präsidialkanzlei-Chefin Ulrike Klindt.
Die Städte fühlen sich durch die Zersiedelungspolitik der Regierung bedroht; Flensburg erwägt, gegen den Plan zu klagen. Mit der Konkurrenz für Einzelhandel und Wohnungsbau verlören die Städte erhebliche Mittel, so die Befürchtung. Und ein Überangebot von Wohnraum könnte Leerstand und Verödung nach sich ziehen.
Zudem schade die Ausbreitung der Umwelt, sagt Naturschützer Lüth. Der Pendelverkehr werde zunehmen. Wie das Land den bewältigen will, ist schon fixiert: Öffentliche Verkehrsmittel sollen laut dem bereits verabschiedeten Eckpunkteplan nicht "gegenüber individuellen Beförderungsmöglichkeiten und damit auch gegenüber dem Bau von Straßen und Radwegen" bevorzugt werden.
Rechtlich stützt sich der Landesentwicklungsplan auf das "Grundsätzegesetz".
Vorgeschrieben ist darin die Stärkung der "vorhandenen Raumstrukturen und verschiedenartigen Entwicklungspotenziale".
Eine "intensive Zusammenarbeit" mit den Nachbarländern wird auch gefordert.
Nichts gehört hat Hamburg bisher noch von der Landesregierung.
Klagen sind erst gegen den endgültigen Plan möglich. KLU
Beim Vorgängerplan der Großen Koalition konnten sich noch Interessengruppen und Kommunen über ein halbes Jahr äußern, eigens dafür hatte sich das SPD-geführte Innenministerium ein neues Online-Verfahren zugelegt. Heraus kamen über 2.000 Seiten, auf denen sich ländliche Gemeinden vor allem über die Wachstumsbeschränkungen beklagten. Zum Liberalisierungskurs plant Schwarz-Gelb nun keine erneute Anhörung. Auch auf einen Landtagsbeschluss will die Regierung verzichten. Dabei hatte noch vor einem Jahr die damals oppositionelle FDP eine Beteiligung des Landtags angemahnt.
Auf die öffentliche Kritik hat Innenminister Schlie nun zwar mit einem Jahr Aufschub reagiert, danach sollen die ländlichen Freiheiten aber kommen.
"Bei derart gravierenden Veränderungen, wie sie die Landesregierung plant", sagt der Geograf Rainer Wehrhahn von der Uni Kiel, "muss eine Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen und eine ausführliche Debatte erfolgen." Er warnt davor, die Steuerung der Siedlungsentwicklung aufzugeben: Allgegenwärtige Gewerbegebiete würden die Landschaft verschandeln und dem Tourismus schaden.
"Ideologie und Klientelpolitik", sieht Hans-Jörg Lüth vom BUND am Werk. Während die FPD einen neoliberalen Kurs fahre, gehe die CDU auf Stimmenfang bei den Bauern. Die könnten durch den Verkauf ihrer Äcker an Bauträger profitierten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga