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NEUANFANG mit FischfangShrimps vom Acker

Vor fünf Monaten hat der 60-jährige Maisbauer Heinrich Schäfer auf Aquafarming umgesattelt, mitten im niedersächsischen Binnenland. Als der Ex-Landwirt die Garnelenzucht plante, schüttelten die Bankberater die Köpfe. Nun will er von seinem Hofladen aus das Luxusprodukt verkaufen.

Schön warm: Heinrich Schäfer keschert Garnelenlarven aus einem seiner Zuchtbecken - Wassertemperatur 30 Grad. Bild: dpa

Das Leben von hunderttausend tropischen Garnelen wird in wenigen Tagen an einem dicken schwarzen Plastikrohr enden. Wenn die Shrimps knapp 20 Gramm wiegen, haben sie höchstens noch einen Monat zu leben. Wie aus einem überdimensionierten Zapfhahn werden sie dann aus dem "Ernteschacht" in einen Siebwagen abgelassen und in einem kreisrunden Tauchbad mit Eiswasser getötet.

Der Ex-Landwirt, in dessen Ex-Maschinenhalle kurz vor Ostern der Exitus stattfinden soll, heißt Heinrich Schäfer. Vor fünf Monaten hat der 60-Jährige auf Aquafarming tropischer Meerestiere umgesattelt, mitten im niedersächsischen Binnenland. Groß und kräftig, sieht er nicht aus wie ein Träumer. Sein Leben lang ist er in Affinghausen, im Kreis Diepholz, gewesen, ist aber herumgekommen und alles andere als weltfremd.

Schäfer steht am Beckenrand, leuchtet mit der Taschenlampe hinein und erklärt die Verhaltensweisen der Tiere. Bevorzugt hielten sie sich im Schatten auf. "Die brauchen Ruhe", sagt Schäfer. 14-mal am Tag wird automatisch Futter aus meterhohen trichterförmigen Plastikwannen ins Wasser abgelassen. Über den Futterverbrauch kann Schäfer auch die Lebendmasse in seinen Becken abschätzen.

Der Schrot aus Soja, Erbsen und etwas Fischmehl muss fest genug sein, damit die Tiere mit Knabbern beschäftigt sind. "Der Weiße Tiger neigt zum Kannibalismus", sagt Schäfer. Bei Langeweile könnten sie beginnen, einander anzuknabbern.

Statt landwirtschaftlicher Maschinen umfasst die riesige Halle zweimal fünf terrassenartig angelegte Becken mit 30 Grad warmem Wasser. "Die Becken wachsen mit den Tieren", erklärt der Aquafarmer. Der Slalom über drei Etagen beginnt im Postlarvenbecken. Alle sechs Wochen kommen die "Postlarven" in wohltemperierten 8.000er-Beuteln an, bei 18 Grad Celsius befänden sie sich in einem Dämmerzustand, sagt Schäfer. Postlarven heißen die Winzlinge nicht, weil sie mit der Post "aus USA, Florida" kommen. Gemeint ist das Entwicklungsstadium, in dem sie zwar nicht mehr ganz frisch geschlüpft sind, sich aber noch von ihrem Dottersack ernähren.

Haben die Garnelen eine bestimmte Größe erreicht, werden sie über Ablaufrohre in das nächste, etwas größere Becken befördert. Durch ausgeklügelte Rohrsysteme zirkuliert das Wasser kreisförmig um die Becken und wird permanent über kleine schwarze Bio-Filter geleitet. "Es muss im Kreis fließen", sagt Schäfer. Stündlich wird das gesamte Wasser im Becken ausgetauscht.

Das abschließende Becken nimmt fast die gesamte Länge der Halle ein, der unterste Bereich ist mit einem Netz am Beckenrand gesichert. Und darin wimmelt es nur so vor Leben. Die Tierchen könnten fast einen Meter hoch springen, meint ihr Züchter. Beim Anblick des Sprungschutzes ist es auf einmal durchaus denkbar, dass die agilen Tiere in wenigen Wochen als Luxus-Tiefkühlprodukt durch ganz Deutschland geschickt werden. Als er die Garnelenzucht plante, hätten die Bankberater trotzdem die Köpfe geschüttelt - eine Garnelenzucht auf dem platten Land, mit Sohn Marco als dem einzigen festen Mitarbeiter. Ein mehr als unwahrscheinlicher Betrieb.

Damit dieser Wirklichkeit werden konnte, mussten zwei Dinge zusammenkommen. Erstens: ein Überangebot an Wärme. Als Schäfer seine Biogasanlagen in Betrieb nahm, hatte er überlegt, was sich mit der überschüssigen thermischen Leistung anstellen ließe. 600 Megawatt Wärme, das wären täglich rund 300 Euro, die er "in die Luft geblasen" hätte. Heute beheizt er mit Mais-Silage von seinem Acker neben der Garnelenhalle noch sechs Wohnungen und ein anliegendes Schwimmbad.

Außerdem sei ihm durch unzählige Kochsendungen klar geworden, dass es einen riesigen Markt für Meerestiere gebe. "Es gibt aber keinen Fisch, der solche Wärme braucht." Für Litopennaeus vannamei dagegen, eine seltene pazifische Garnelenart, sind Schäfers 30 Grad die reinste Wohlfühltemperatur. Ständig seien im Fernsehen Tiger-Shrimps als Vorspeisen zubereitet worden, erzählt er. Dabei müssten doch alle diese importierten Feinschmecker-Garnelen heute "mit Bedenken verzehrt" werden.

Grund für die Bedenken seien die Umstände der Herstellung, die Antibiotika und Desinfektionsmittel, die planierten Mangrovensümpfe für Aquakultur in Thailand und Vietnam und der Transport - allein am Flughafen Frankfurt kämen täglich gut 100 Tonnen Garnelen an. Schäfer sorgt sich nicht, seine Ware nicht loszuwerden, der Markt sei dafür da. Und er hat sich früh fachkompetente Hilfe geholt, so etwa den US-amerikanischen Garnelenexperten Addison Lawrence und die Bremer Energieberatungsfirma Windstream.

"Wenn man ein bisschen phantasiert, kann man also sagen, aus meinem Mais werden Garnelen", sagt Schäfer. Mit Heizöl wäre die Zucht jedenfalls kaum ökonomisch oder gar ökologisch zu realisieren. So hat Schäfer aus einer paradoxen Idee etwas Paradoxes geschaffen, eine Garnelenzucht im Binnenland, einen fast perfekten Energiekreislauf, aus dem trotzdem ein Luxusprodukt hervorgeht, in ein- oder fünf-Kilogramm-Plastikboxen verschweißt.

Für den Landwirt scheint sich Ackerbau am ehesten noch für die Biogasanlage zu lohnen. Natürlich sind die vom Energie-Einspeise-Gesetz befeuerten Strukturveränderungen in der Landwirtschaft umstritten. Die Moralsentenz, keinen Mais verheizen zu wollen und die mancherorts merklich schräg erscheinende Allianz von Schwarz und Grün erhalten hier auf dem Bassumer Acker eine andere Dimension. Schäfer ist in der CDU, weiß aber, dass die Bauern das Energie-Gesetz "Herrn Trittin und Frau Künast zu verdanken" haben.

Schäfers Geschäftsmodell ist ein vorbildlicher energetischer Kreislauf, in dem alles verwertet wird. Die getrockneten Reste aus dem Entsalzungsbecken draußen hinter der Halle? Streusalz. Die brackigen Schwebeteilchen und aus den Becken, die der "Abschäumer" abfiltert? Dünger für die Maisfelder.

Nun will Schäfer einen Hofladen eröffnen: Freitags und samstags werden die Garnelen kiloweise direkt ab Hof verkauft und in der Woche die Bestellungen per Paketdienst ausgeliefert. Auf der Diele wird sich bald ein Verkaufstresen für geeiste Gourmetprodukte befinden. Der 60-jährige Unternehmer blickt nach vorn, er hat heute schon etwas geschaffen, das seine Söhne mal übernehmen können: keine Ländereien, dafür aber die einzige deutsche Garnele, Markenname "Marella". Benannt nach seinen drei Enkelinnen, Maren, Nele und Mara.

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