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NEU IN DER SCHAUBURG Jarmusch's „Night on Earth“

New York, 22.07 Uhr. Helmut Grokenberger (Armin Müller- Stahl), ein deutscher Emigrant aus Dresden, hat seinen ersten Arbeitstag als Taxifahrer. Sein Englisch ist mehr als bescheiden, und mit der Automatik seines Wagens kommt er nicht zurecht. Also übernimmt sein Fahrgast den Volant und steuert den Wagen nach Brooklyn. Die schäbigen Staßen auf dem Weg deuten nicht unbedingt auf N.Y.-City hin, aber die Szene ist eine Muster- Lektion für BesucherInnen des „Big Apple“: Nur in New York führt so ein Ping-Pong der Sprachbrocken zum Ziel. Der Kulturmoloch ist so einzigartig wie seine „cabs“.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden nach einer tiefen Bewußtlosikeit in einem fahrenden Taxi in Dortmund oder Osnabrück aufwachen. Könnten Sie auf Anhieb erkennen, um welche Stadt es sich handelt? Der New Yorker Regisseur Jim Jarmusch (Down By Law, Mystery Train) könnte es vielleicht, denn daß er ein feines Gespür für Menschen im Allgemeinen und Fahrweisen von TaxifahrerInnen im Speziellen besitzt, hat er mit seinem neuen Werk „Night On Earth“ gezeigt.

Taxis fahren auf der Welt überall zu jeder Zeit. In Rom ist es jetzt 4.07 Uhr. Wo sonst jagen Taxis durch nächtliche Einbahnstraßen, wird ein Priester im Fond von einer Seite auf die andere geschleudert wie in der Achterbahn, während der Fahrer mindestens so schnell redet wie er fährt? Ro berto Benignis Par-Force-Monolog über sexuelle Erfahrungen mit Kürbissen, Schafen und Schwägerinnen jagen Philosophien über die „Senso Unica“ (=Einbahnstraße) oder „Roma deserta“ bei Nacht. Diesen Umgang mit Sprache gibt es nur dort — bis zum Orgasmus und zum Tod. Jarmusch beweist es.

Ortszeit Paris: 4.07 Uhr. Ein schwarzer Gastarbeiter (Isaach De Bankole) wirft seine rassistischen afrikanischen Fahrgäste auf die Straße. Sie unterstellten dem „Ivoirien“, dem Mann von der Elfenbeinküste, er sähe nichts — „Y voit rien“. Jarmusch kennt sich aus mit PariserInnen. Die blinde Beatrice Dalle, die zusteigt, auch. „Blinde tragen doch immer dunkle Brillen“ sagt der Afrikaner beim Anblick ihrer pupillenlosen Augen. „Ich habe nie welche gesehen“, sagt sie trotzig. Und später: „C'est bleu comme une carotte“.

Jim Jarmusch hat den Menschen in die Seele geschaut und auf den Mund. Beides verbindet er in „Night On Earth“ zu einem Episoden-Film über fünf Städte, der einen Baedeker in den Schatten stellt. Er hat es geschafft, zwischen der Dämmerung um 19.07 Uhr in Los Angeles und dem Sonnenaufgang um 5.07 in Helsinki ein cineastisches Welt-Panorama aus der Fahrgastzelle zu komponieren. Die Nacht ist nirgends gleich, aber sie kommt immer wieder — überall. J.F.Sebastian

Ab Freitag, 16.30, 21 und 23 Uhr. Original mit Untertiteln.

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