NDR-Vertreter bemängeln Talkshows: Insgesamt verbesserungswürdig
In einem internen Papier rügt der NDR-Programmausschuss das eigene Talk-Konzept. Die Konsequenzen: Kein hartes Durchgreifen, sondern Themen inhaltlich koppeln.
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Peter Scholl-Latour war mal wieder groß in Form. Bei „Anne Will“ und den anderen TV-Polithochämtern alle Talkgäste mit dem Charme des allwissenden Fremdenlegionärs rauszugrätschen – auf diese Rolle ist der 88-Jährige seit Jahren abonniert.
Ob solche Auftritte wie am vergangenen Mittwoch allerdings der großen Sache dienlich sind, daran zweifelt die ARD allmählich selbst. Schließlich hat sie sich mit ihren fünf Talkrunden in sieben Tagen dem hehren Ziel verschrieben, Information und Meinungsbildung im besten öffentlich-rechtlichen Sinne zu leisten.
Genauer gesagt zweifeln nun die Gremien und damit die Vertreter der wahren „Auftraggeber“ des gesamten Spektakels. Auf seiner 225. Sitzung vor einem Monat machte sich der NDR-Programmausschuss Luft: „Alle fünf Talksendungen sind unpolitischer geworden, was dazu führt, dass wichtige, gesellschaftlich relevante Themen, die komplex und somit erklärungsbedürftig sind, nicht behandelt werden“, heißt es in einer Tischvorlage für den NDR-Rundfunkrat.
Die Nord-Anstalt verantwortet mit „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ die heiligen Kühe des ARD-Info-Bereichs und ist gleich für drei Polittalks – „Anne Will“, „Beckmann“ und „Günther Jauch“ – zuständig.
„Nach wie vor fehlen wirtschaftspolitische Themen sowie unterschiedliche Themen der Sozial- und Energiepolitik fast völlig, ebenso wie neue politische Bewegungen und die internationale Politik“, heißt es in dem geharnischten Befund. Hinzu komme, dass „es nach wie vor Themendopplungen gibt (z. B. Essen, Gesundheit), die nicht notwendig“ seien. Das wiederum könnte an der unter der Regie von ARD-Chefredakteur Thomas Baumann geführten „Gäste-Datenbank“ liegen.
Die heilige Kuh Jauchplasbergmaischbergerwillbeckmann
Denn auch der stellen die Gremienvertreter kein gutes Zeugnis aus: Sie habe bislang „als Steuerungselement ihren Zweck nicht ausreichend erfüllt“, vielmehr bestehe „der Eindruck, dass die Redaktionen ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen“. Daher habe sich „an dem Auftreten von Dauergästen bislang nichts Wesentliches geändert.“ Auch kritisiert wird die „Unterrepräsentation von Frauen und jungen Menschen in den Gästerunden“.
Die TV-Beobachter der Gremien – die keinen direkten Einfluss auf die Programminhalte haben – schrecken sogar vor der heiligen Kuh von Jauchplasbergmaischbergerwillbeckmann nicht zurück: Man müsse kritisch hinterfragen, „ob es sinnvoll ist, die Produktion von Talksendungen externen Gesellschaften zu überlassen, statt sie ARD-intern zu produzieren und damit auf die eigenen Kompetenzen und Fachredaktionen zurückzugreifen“, so das Papier, und bemerkt spitz: „Vor dem Hintergrund der Vielzahl von Talkshows im Fernsehen gilt es, die Anzahl der ARD-Talkshows pro Woche immer wieder zu überdenken.“
Dringend angemahnte Runde
Die Drohung ist aber nicht ganz ernst gemeint: Der Programmausschuss fordert am Ende doch kein hartes Durchgreifen – sondern hält lediglich fest, dass man weiterhin „kontinuierliche Beobachtung“ brauche, um „in Kooperation mit den Programmverantwortlichen“ die ARD-Polittalks „insgesamt zu verbessern.“
Ein bisschen hatten sie bei dem NDR wohl auch geahnt, was auf sie zukommt. Die im Papier enthaltenen Forderungen, „geeignete Themen“ mit Dokus oder Spielfilmen „inhaltlich zu koppeln“, erfüllte „Günther Jauch“ am Sonntag, als er nach der Wiederholung des Afghanistan-Heimkehrer „Tatort: Heimatfront“ von der Saar eindrücklich zum „Trauma Afghanistan“ diskutieren ließ.
Und auch die vom Programmbeirat dringend angemahnte Runde zu Syrien hat, siehe oben, bereits stattgefunden. Wenn auch mit einem allzu bekannten Dauergast.
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