Mythos: Zu schickimicki für den Kiez
Avantgarde und Schlägerei: Mit seiner Ausstellung „SO36“ würdigt der Galerist Klaus-Dieter Brennecke den Kreuzberger Club als Brennpunkt künstlerischer Produktion.
Sie stehen in engen Hosen an der Bar, Arm auf der Theke, Zigarette in der Hand und blicken abweisend aneinander vorbei. Im Hintergrund kühles Blau. Blixa Bargeld und irgendeine Sabine im Dschungel. So wie auf dem Gemälde von Salomé stellt man sich die späten Siebziger in Westberlin vor: Hart, unterkühlt, zugleich strotzend vor Lebendigkeit. Pure Energie, die förmlich von der Leinwand springt, raw power. Gut möglich, dass sich Salomé in seinem Atelier am Moritzplatz mit dem Pinsel abreagierte, nachdem er im nahe gelegenen SO36 zu Iggy and The Stooges getanzt hatte.
Gegenüber von Salomés Bild hängt Elvira Bachs „Nicht ohne Vino Tinto“ – auch das ein gemalter Exzess. Bach war Stammgast im Musikclub SO36 auf der Oranienstraße, der in seiner Frühphase zwischen 1978 und 1980 Anziehungspunkt für bildende Künstler war. Das kahle Interieur des 8x29x8 Meter großen Raums brachte den Gestus von Punk auf den Punkt – eine Umgebung, die diejenigen anzog, die auf der Suche nach künstlerischer Radikalität waren: Rainer Fetting und Helmut Middendorf pinselten zusammen ein wüstes Kolossalgemälde mit Sonnenuntergang auf die Wand, die Fotografin Anne Jud ließ sich eine Nacht lang allein im Laden einschließen und posierte im Plastikanzug unterm kalten Neonlicht. Der Maler Bernd Zimmer montierte eine monumentale Hochbahn-Installation, die er mit Lou Reeds „Metal Machine Music“ unterlegte.
Die Ausstellung „SO36“ in der Charlottenburger Galerie Brennecke ist eine Werkschau aus der Anfangszeit des Clubs. Mehr aber auch nicht: An der Verklärung zur stilprägenden Institution des Nachtlebens oder gar einer Kreuzberg-Verherrlichung will sich der Galerist Klaus-Dieter Brennecke ausdrücklich nicht beteiligen. Kippenberger etwa, gerade im Hamburger Bahnhof geehrt und oft als Gründer des SO36 gehandelt, fehlt in den Reihen der Ausgestellten: Er habe, bei allem Respekt, damals noch keine Rolle gespielt, sagt Brennecke. „Der durfte mal den Schaukasten auf der Straße gestalten – ansonsten ist er höchstens als Ausdruckstänzer aufgefallen. Prägend waren andere.“ K.H. Hödicke, Ina Barfuß, Markus Oehlen und die am Moritzplatz in einer Selbsthilfegalerie zusammenarbeitenden Neuen Wilden um Fetting und Middendorf.
Klaus-Dieter Brennecke gehörte, zusammen mit Andreas Rohé und Achim Schächtele zu den Mitgründern des SO36. Sozialisiert im Düsseldorfer Ratinger Hof, einem der Zentren der bundesdeutschen Punkszene, beschloss er, in Westberlin etwas Ähnliches aufzuziehen: einen „Ort für junge Leute, wo was los ist“. Der Ort dafür war natürlich Kreuzberg, man mietete ein ehemaliges Kino, holte avantgardistische Bands wie Lydia Lunch, S.Y.P.H. oder Suicide. Und machte sich schnell einen Ruf über die Mauerstadt hinaus. Vor der eigenen Tür, im Kreuzberger Mikrokosmos, kamen die Künstler und Feiernden allerdings weniger gut an. „Kreuzberg war damals aufgeteilt unter verbiesterten K-Gruppen, Hausbesetzerpunks und Drogen-und Rockerbanden. Die verstanden überhaupt nicht, was wir machten. Ständig gab es Schlägereien, Farbeier, man schmiss uns die Scheiben ein oder stürmte den Laden“, erinnert sich Brennecke. Um Ruhe vor denen zu haben, die vermeintliches Schickimickitum bekämpften, einigte man sich mit den Rockern. Gegen Freigetränke schreckten sie Pöbler ab. Trotzdem hielten die Anfeindungen an, dazu drohte dem Laden der Ruin. „Nach zwei Jahren war für mich Ende: Ich war 23 und pleite. Und wollte nur noch raus“, sagt Brennecke. Er verkaufte seine Anteile an Martin Kippenberger, der noch eine Weile weitermachte, bis Anarchos während eines Konzerts der Punkband Wire den Club überfielen und die Konzertkasse plünderten.
Brennecke ging nach Charlottenburg und baute Kulissen fürs Schiller Theater. 15 Jahre lang habe er keinen Fuß mehr nach Kreuzberg gesetzt, sagt er. Geblieben von der kurzen, wilden Zeit ist ihm eine Kiste unter dem Bett. Die habe er eigentlich gar nicht öffnen wollen – mit der Lebensphase sei er durch. Dann aber kam vor zwei Jahren der 60. Geburtstag von Elvira Bach, deren kantige Frauen auf dem Mainstream-Markt sehr erfolgreich sind. Und jetzt, zwei Jahre später, die große Kippenberger-Retrospektive. „Alles schöne Ausstellungen. Aber ich dachte: Wo bleiben die anderen? Hornemann, Barfuss, Zimmer? Es wäre an der Zeit, die Bedeutung dieser frühen Kreuzberger Künstlerszene angemessen zu würdigen.“
Nun hängen die Hochbahn-Studien von Bernd Zimmer und die expressiven Gemeinschaftsarbeiten von Ina Barfuss und Thomas Wachweger neben den späteren Stars Middendorf und Bach – Momentaufnahme einer kurzen Zeit des gemeinschaftlichen Exzesses, bevor sich die Wege trennten. Die Musik dazu fehlt, dafür liefert der Katalog eine tolle zeitgeschichtliche Ergänzung dieses bislang unterbelichteten Kapitels der neueren Berliner Kunstgeschichte.
13. August bis 2. Oktober, Galerie Brennecke, Mommsenstraße 45, Charlottenburg
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