Mutterschaft in Videospielen: „Mütter in Games sind tot oder sterben früh“
Natalie Berner hat Mütter in Videospielen analysiert. Warum sie fast immer abwesend sind und was sich daran nun ändern könnte.
taz: Natalie Berner, Sie haben untersucht, wie Mutterschaft in Videogames inszeniert wird. Die Suche nach geeigneten Spielen stelle ich mir schwierig vor. Weibliche Figuren im Videospiel sind meist jung, kinderlos und unverheiratet. Wie aufwändig war Ihre Recherche?
Berner: Ziemlich. Ich wollte eine Bestandsaufnahme von Mutterschaft im Videospiel erarbeiten und habe insgesamt 15 internationale Videospiele exemplarisch ausgewertet. Für die Analyse gab es verschiedene Kriterien: Die Spiele mussten Reichweite haben, um von einer gewissen Relevanz und Sichtbarkeit ausgehen zu können. Mich hat nämlich nicht nur interessiert, welche Darstellungslogiken wir finden – sondern auch, wie sich diese mit Marktlogiken erklären lassen. Deswegen war es wichtig, auf den kommerziellen Erfolg der Spiele zu achten. Außerdem musste natürlich eine Verknüpfung zum Thema Mutterschaft vorhanden sein.
taz: Und was ist Ihr Ergebnis? Wie sieht Mutterschaft in Videogames aus?
Berner: Bei den untersuchten Spielen gab es im Wesentlichen zwei Ergebnisse: Zum einen kommt die Mutter in Abwesenheit vor, das heißt, Mütter sind entweder tot oder sterben früh im Handlungsverlauf. Wenn die Mutter bereits gestorben und damit also gar nicht mehr anwesend ist, hat sie nur noch eine narrative Funktion. In fast allen Fällen ist die Mutter kein spielbarer Charakter. Zum anderen können Mütter als emotionale Triggerpunkte der Geschichte eine gewisse Tiefe verleihen. Sie dienen also auch der Emotionalisierung des Spiels und der Storyline.
taz: Wem nützen tote Mütter?
Bender: Mutterschaft in Videospielen hat häufig eine Platzhalterfunktion und dient den Protagonisten. Gute Beispiele sind Klassiker wie „The Walking Dead“ oder „Dragon Age II“, in denen die zentralen Charaktere Botschaften mit letzten emotionalen Worten von ihren sterbenden Müttern bekommen. Solche dramaturgischen Mittel verleihen dem Hauptstrang eine intensive emotionale Dimension, weil sie Verlusterfahrungen transportieren. Denn „die tote Mutter“ kann emotional ganz viel auslösen. Immerhin steht sie archetypisch nach C. G. Jung für das Hegende, Pflegende, Nährende und Fürsorgliche. Das ist dann aber weg. Das verschafft eine gewisse Dramatik, weil so verdeutlicht werden soll, wie sehr die Protagonistin auf sich allein gestellt ist.
taz: Dabei ist die Realität eigentlich genau andersrum, wie Sie festgestellt haben. Da muss die Mutter für so ziemlich alles herhalten und kann sich Abwesenheit gar nicht leisten.
Berner: Das stimmt. Im Alltagsdiskurs geht es viel um Präsenz, Liebe, Dasein, was den Müttern idealtypisch zugeschrieben wird. Im Videospiel sehen wir genau das Gegenteil: die tote, sterbende Mutter statt der anwesenden. Dieser Gegensatz ist spannend.
taz: Sie haben auch ein Gegenbeispiel, nämlich Joyce Price in der Adventure-Game-Reihe „Life Is Strange“. Sie ist im Spiel Witwe, Mutter und arbeitet als Köchin und Bedienung. Die Darstellung dieser Mutterschaft haben Sie eher positiv bewertet. Inwiefern unterscheidet sie sich von anderen Müttern?
Berner: Joyce muss Geld verdienen, ist alleinerziehend mit pubertierendem Kind und neuem Partner und gleichzeitig voll berufstätig. Damit zeigt ihre Figur eine komplexere soziale Realität von Mutterschaft, die in den anderen Spielen so nicht vorkam. An ihr werden Ambivalenzen und Zerrissenheit gezeigt – obgleich sie auch keine wirklich spielbare Figur ist. Sie hat aber nicht nur die Funktion, dem Hauptprotagonisten zu dienen oder Verlusterfahrung zu personifizieren. Das ist ein positiveres Beispiel.
taz: Einerseits verstehe ich den Wunsch nach komplexeren Darstellungen von Müttern. Andererseits habe ich letztens in einem Redditforum den Beitrag einer Mutter gelesen, die schrieb, dass sie keinen Bock hätte, ihr Leben in einem Videospiel nachzuspielen.
Berner: Gaming gehört zur Popkultur und will deswegen auch eine Art von Gegenerfahrung sein. Andere Impulse oder Unterhaltung zu bekommen, spielt für viele Spielende eine wichtige Rolle. Deswegen ist eine 1:1-Abbildung von Alltag schwierig. Es geht aber nicht darum, beispielsweise Care-Arbeit maßgetreu im Videospiel nachzuspielen, wenn man damit eh schon im Alltag konfrontiert ist. Das wäre wenig erholsam. Feststellen lässt sich aber, dass das Konzept von Mutterschaft simplifiziert vorkommt und Ambivalenzen fehlen – die bei Vaterfiguren in Videospielen übrigens vorhanden sind. Diese verfügen über deutlich komplexere, vielschichtigere Biografien und Hintergründe und sind spielbare Charaktere wie Joel in „The Last of Us“ und Lee in „The Walking Dead“.
taz: Das führt zu der Frage, wie Entwicklerteams aufgestellt sind – also wer sich die Storys ausdenkt und sie schreibt. Oder besser gesagt: wer nicht.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienforschung der TU Chemnitz. Sie hat zur Konstruktion von Mutterschaft im gesellschaftlichen Diskurs promoviert.
Berner: Videospiele orientieren sich an einer Marktlogik, in der Studios, Entwickler und so weiter bestimmte Zielgruppen ansprechen wollen. Lange Zeit war die Idee, dass die Gamingcommunity junger Männer älter geworden ist – und mittlerweile selbst einige Väter sind. Damit wurde der Boom in Tochter-Väter-Darstellungen erklärt, die sogenannte Daddification of Video Games. Häufig führte der Vater als eine Art Guide seine Tochter durch Gefahren. Dort sehen wir also Parallelen zu Vaterschaftsideen, die gesellschaftlich auch existieren. Auf Mutterschaft hat sich die Idee aber nicht entsprechend übertragen. Hier gab es in meiner Analyse keine entsprechenden Heldinnen oder Mutterschaftsrollen jenseits von Abwesenheit oder eindimensionalen Figuren.
taz: Ergibt das kommerziell Sinn?
Berner: Nein. Das Durchschnittsalter spielender Personen liegt bei 34 Jahren und teilt sich auf die Geschlechter mehr oder weniger gleich auf.
taz: Lassen sich progressive Ansätze schlechter verkaufen?
Berner: Natürlich werden profitorientierte Entscheidungen getroffen. Mein Eindruck ist aber auch, dass andere Darstellungsmechanismen und Logiken sichtbarer werden. Es hat großen Einfluss, was die Spieler:innen wollen. Es dauert vielleicht noch einige Zyklen, bis sich etwas verändert. Aber es gibt viele Menschen, die sich engagieren, und wir werden vielschichtigere Videospiele sehen, da bin ich sehr zuversichtlich.
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