Musiktheater beim Morgenland-Festival: Der Untergang des Morgenlandes

Eine wortreiche, aber dürftige Handlung: Mit Kinan Azmehs „Songs for Days to Come“ scheitert Osnabrücks Intendant Ulrich Mokrusch kläglich.

Auf einer Bühne liegen und stehen Schauspielerinnen und Schauspieler, links im Bild spielt einer von ihnen Klarinette

Emotionale Klarinette, rollende Augen und viel Bühnennebel ergeben kein großes Theater Foto: Stephan Glagla/Theater Osnabrück

OSNABRÜCK taz | Es gibt Theaterabende, die enden in einem Begeisterungssturm. Lobrufe branden auf, das Publikum applaudiert stehend. Die Premiere von Kinan Azmehs genreübergreifendem Musiktheater „Songs for Days to Come“, im Theater Osnabrück, am Sonnabend vor Pfingsten, war einer dieser Abende.

Azmehs aufklärerischer Versuch, in einer Fusion von Oper, Konzert, Schauspiel und Performance sein von Krieg und Staatsterror traumatisiertes Herkunftsland Syrien als „Land in der dunkelsten aller Zeiten neu zu kartografieren“, paart Düsternis mit Hoffnungshelle. Eine Textbasis aus zeitgenössischer syrischer Lyrik, Gesang auf Arabisch, als Thema Schuld, Sinnsuche, Seelenqual, Entwurzelung und Tod: Azmeh, als Solo-Klari­nettist selbst einer der Darsteller, tritt an, aus seinen „Songs“ einen „Akt der Freiheit“ zu machen, uni­ver­sal­gül­tig, und dieser Anspruch verdient Respekt.

Es gibt allerdings ein Problem: Ethisch mag der Abend wertvoll sein, inszenatorisch ist er es nicht. Als Nummernrevue hätte Azmehs „Songs“-Idee funktioniert, für eine Experimental-Oper ist sie zu dünn. Intendant Ulrich Mokrusch, für die Regie verantwortlich, tut seiner ersten Spielzeit in Osnabrück mit diesem Abend keinen Gefallen.

Sicher, Azmehs westöstliche Komposition ist suggestiv und lautmalerisch. Sicher, die 15 Gedichte, die sein fluides Crossover-Stück gedanklich tragen sollen, sind kraftvoll und wortmächtig, von Ramy al-Asheqs „Mein Vater“ bis Abdulrahman Khalloufs „Gespannte Ruhe“. Auch dirigiert Daniel Inbal die Osnabrücker Symphoniker präzise und feinnervig. Und ja, wenn Azmeh zwischendrin zur Klarinette greift, wird es emo­tional. Aber das reicht nicht.Der Abend beginnt in Blauviolett. Ein Mann, von hinten zu sehen, sitzt vor einer gewaltigen Wand. Nebel wallen. Lange geht das so.

„Songs for Days to Come“: Theater am Domshof, Osnabrück. Wieder am 14. und 22. 6. sowie am 1., 3. und 8. 7., jeweils um 19.30 Uhr

Aus dem Orchestergraben schwillt Azmehs Musik, sonst passiert nicht viel. Der Mann, der uns den Rücken zukehrt, ist Sami, die Hauptfigur, und laut Programmheft ist er jung. Aber dem lyrischen Bariton Jan Friedrich Eggers, der ihn spielt, fehlen nur noch wenige Jahre bis zur 50, und das merkt man.

Eggers ist eine der Schwächen des Abends. Nicht stimmlich; sein Gesang ist solide. Aber sein schauspielerisches Potenzial ist begrenzt, und das überdramatische Augenrollen, Herumgetaumel und Zusammensinken, mit dem er Verzweiflung, Ratlosigkeit und Leid auszudrücken versucht, wirkt unfreiwillig komisch. Kein Gedanke, den er äußert, wirkt wie wirklich gedacht. Kein Gefühl, das er zeigt, wirkt wie empfunden. Seine Gestik ist oft hölzern. Manch Weg, den er auf der Bühne zurücklegt, wenn er gerade nicht theatralisch ins Leere starrt, ist überflüssig. Mo­krusch lässt Eggers gewähren.

Mokrusch hätte an vielen Stellen eingreifen müssen; er hat es unterlassen. So tut auch der Chor, was Chöre tun, wenn niemand ihnen schauspielerische Präsenz und Rollen-Glaubwürdigkeit abfordert: Oft steht er nur als „Volk“ in den Kulissen herum und die Interaktion zwischen Sängerinnen und Sängern, die Lebendigkeit signalisieren soll, erschöpft sich in leeren Wiederge­brauchs­gesten.

Wenn Arabisch gesungen wird, werden zuweilen über Monitore deutsche Übersetzungen eingeblendet, zuweilen nicht. Warum nicht immer, erschließt sich nicht. Auch die Fotos, die bühnenfüllend projiziert werden, führen zu Achselzucken. Sie zeigen Menschen, Straßenszenen. Wer da zu sehen ist, was, warum? Man weiß es nicht.

Überhaupt: Die Rahmenhandlung. So wortreich sie sich bemüht, die Gesangsparts an einander zu kitten, so nebulös bleibt sie. Es geht um eine Therapie, Samis seelisches Trauma, das irgendwie für die Verwundung eines ganzen Landes steht, einer ganzen Gesellschaft, vielleicht der ganzen Welt. Es geht um eine kafkaeske Behörde, die Schrecken der Macht. Auch um eine Hochzeit scheint es zu gehen, warum auch immer.

Wir hören Worte wie „Diktator“, „General“ und „Tyrannen“, hören von Einsamkeit und Leere, von Reue und Moral, von Klagefrauen und Tagelöhnern des Todes, hören von Äxten, die Gesichter spalten, und von Säure auf klaffenden Wunden. Gewalt, signalisiert das, ist die Hölle. Und damit das auch wirklich jeder versteht, wird es zusätzlich auch noch in Sinnsprüche gepresst. Das ist Holzhammer-Pädagogik.

Hat Mokrusch wirklich nicht gesehen, dass der Effekt sich schnell verbraucht, wenn alle paar Minuten die Nebelmaschine angeworfen wird, die Drehbühne sich dreht? Hat er wirklich nicht gehört, dass die Darsteller, obwohl durch Mikros verstärkt, phasenweise gegen das kakofonische Klangfeuer des Orchesters nicht ankommen?

Jan Friedrich Eggers singt solide. Aber sein wildes Augenrollen lässt ihn komisch wirken, wenn er verzweifelt scheinen will

„Songs for Days to Come“ wirkt fehljustiert, unfertig. Jemand schießt sich mit einer schweren Pistole in den Kopf, ohne Schussknall: Laientheater. Jemand raucht eine Zigarette, ohne sie anzuzünden: vernünftig, aber albern. Jemand bückt sich verzweifelt nach einem Toten, rückt dabei aber sorgfältig seine Bügelfalte zurecht: Rollenbruch.Wie Soldaten sich hier ihre Kampfstiefel schnüren, ihre Tarnschminke auftragen: ein Witz. Dass Chormitglieder minutenkurz den Zuschauerraum entern, um zu zeigen, dass die Zuschauenden nicht nur Zuschauende sind: kindisch. Mitunter ist die Bühne lange leer. In Reihe 5 wird schon nach ein paar Viertelstunden verstohlen eine Smartwatch gecheckt.

Ach ja, die Ping-Pong-Bälle. Zu Hunderten kullern sie am Ende über die Bühne, als Verweis auf die kreative Kraft der Regimegegner. Auch fürs Publikum gibt’s welche, auf ihnen ein QR-Code, für Zusatzinfos zu Syrien. Der Code auf dem Ball funktioniert nicht, aber der auf der Verpackung öffnet einen Link. Das ist fast das Versöhnlichste, das der Abend bereithält.

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