Musiker Ferenc Snétberger: „Roma-Musiker lieben Bach“
Zur Einweihung des Denkmals für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma spielt Ferenc Snétberger. Ein Gespräch über Musik und Schikane.
taz: Herr Snétberger, Sie sind Musiker – aber wenn Journalisten mit Ihnen sprechen, geht es nie nur um Musik, sondern immer auch um Ihren ethnischen Hintergrund. Stört Sie das?
Ferenc Snétberger: Manchmal. Für viele Leute ist klar, welche Musik ich spiele, weil ich ein Rom bin. Ich werde aber nicht gerne in Schubladen gesteckt. Klar habe ich als Kind zu Hause mit meinem Vater, der ebenfalls Gitarrist war, auch Roma-Musik gespielt. Aber er stand viel mehr auf Django Reinhardts Jazz oder auf brasilianische Sounds als auf Volksmusik.
Auch heute stehen Sie nicht für Roma-Musik, sondern für Klassik, Jazz, Flamenco, Bossa Nova. Spielt es überhaupt eine Rolle für Sie als Musiker, dass Sie in eine Roma-Familie hineingeboren wurden?
Doch, klar, jeder kann meinen Roma-Background hören, sowohl in den Kompositionen als auch an der Art zu spielen. Bei uns spielt Musik eine riesengroße Rolle. Sie hilft, die Traurigkeit über die Armut zu vergessen. Deshalb haben wir eine besondere Musikalität.
Die gibt es auch in Nicht-Roma-Familien, etwa bei den Bachs …
… deshalb lieben auch viele Roma-Musiker Bach. Gerade von Johann Sebastian kann man unheimlich viel lernen, besonders was die Improvisation angeht. Bach ist sehr wichtig für uns.
In Medienberichten werden Sie als jüngster Sohn einer „Sinti-und-Roma-Familie“ bezeichnet. Sind das nicht zwei Völker?
Ja und nein. Mein Vater war einer der wenigen Sinti in Ungarn, meine Mutter ist Romni. Ein Unterschied ist, dass Sinti in Westeuropa leben und Roma im Osten. Musikalisch ist die Gitarre das Instrument der Sinti, Roma spielen eher Geige, Cimbalom oder Blasinstrumente. Auch ihre Sprache ist verschieden: Romanes ist ja immer beeinflusst von den Ländern, in denen Sinti und Roma leben. Trotzdem versteht man sich. Leider spreche ich gar kein Romanes, weil wir zu Hause Ungarisch gesprochen haben.
geboren 1957 in Salgótarján, Nordungarn, studierte nach dem Besuch der Musikschule auf dem Béla-Bartók-Konservatorium in Budapest klassische Musik und Jazzgitarre. Er wurde in den späten 80ern bekannt mit dem Trio Stendhal, 1988 ging er nach Berlin. Sein Snétberger Music Talent Center ermöglicht jungen Roma eine Musikerausbildung.
Sie sind im sozialistischen Ungarn aufgewachsen. Wie lebten Sie dort als Rom?
Vor allem erinnere ich mich an Armut. Wir wohnten zu zehnt in einer Ein-ein-halb-Zimmer-Wohnung, nicht größer als 40 Quadratmeter. Im einen Raum schliefen wir sieben Kinder, im anderen Großmutter, Mutter und Vater. Der war Musiker, machte aber ständig zusätzliche Jobs, weil das Geld nicht reichte. Trotzdem war das Leben der Roma damals besser als heute, weil sie Arbeit hatten.
Trotz der Armut Ihrer Familie haben Sie eine erstklassige musikalische Ausbildung genossen. War das damals normal?
Normal nicht, aber möglich. Um zwei Plätze am Konservatorium haben sich vierzig oder fünfzig Gitarristen beworben. Ich habe sehr viel geübt und war überglücklich, als es geklappt hat. Großartig war, dass die Ausbildung kein Geld kostete. Aber ich brauchte ja eine Wohnung in Budapest, weil meine Heimatstadt 120 Kilometer entfernt ist. Ich habe Tanzmusik gemacht und Gitarrenunterricht gegeben, um das bezahlen zu können. Meine Eltern konnten mir ja nichts dazugeben.
Wie ist das heute in Ungarn?
Das Land ist zu klein für die vielen Talente. Und man muss alles bezahlen. Es gibt zwar eine Unterstützung, aber das ist nicht genug. Wer Geld hat und keinen Platz am Konservatorium kriegt, kann ins Ausland gehen. Wer arm ist, hat kaum eine Chance.
Sie waren nicht nur arm, sondern zudem Rom. Sind Sie deshalb diskriminiert worden?
Ja, klar, schon als Kind. Nach der Schule habe ich immer mit dem Nachbarjungen gespielt. Auf einmal kam er nicht mehr. Ich hab ihn dann in der Stadt getroffen und gesagt: Ich war bei dir zu Hause und habe geklingelt – aber du hast nicht aufgemacht. Warum kommst du nicht mehr spielen? Und er hat gesagt: Ihr seid Zigeuner.
Der Rassismus war in Ungarn also auch zu sozialistischen Zeiten spürbar?
Rassismus war immer da. Die meisten Leute sind dabei nicht bewusst rassistisch. Ihnen ist nicht klar, dass sie andere verletzen. Und wir anderen sind mit dem Wissen aufgewachsen, dass man uns nicht mag.
Daran hat sich seit 1989 gar nichts geändert?
Ein bisschen schon, im Guten wie im Schlechten. Zum Beispiel war ich vor einigen Jahren in Budapest in einem Buchgeschäft und merkte, dass die Angestellten über mich reden. Sofort war die Erinnerung da, wie ich als Kind im Laden alles aus der Tasche nehmen und vorzeigen musste, um zu beweisen, dass ich nichts geklaut hatte. Ich wollte das Geschäft verlassen, aber ein Angestellter folgte mir. Ich war sicher, gleich muss ich meine Tasche ausleeren. Aber er sagte: Entschuldigung, können Sie mir ein Autogramm geben.
Das klingt doch erfreulich …
… ja, aber dann passiert es auch, dass ich nach einem Konzert von der Polizei angehalten und schikaniert werde – dabei hatte ich gar nichts falsch gemacht. Mein Sohn fragte: Papa, warum machen die das? Und ich sagte: Weil sie gesehen haben, dass wir Roma sind und ein Auto mit westlichem Kennzeichen fahren. Mein Sohn ist in Berlin aufgewachsen und kannte diese Art von Diskriminierung nicht.
Wie ist die Lage der Roma in Ungarn heute?
Die allgemeine Armut ist extrem angestiegen – und die der Roma noch mehr. Roma und Juden werden wieder zum Sündenbock gemacht. Viele Menschen in Ungarn kennen das Wort Toleranz nicht. Ich komme von dort, ich habe dort viele Freunde und will weder Land noch Menschen beleidigen. Aber dieser Hass gegen Roma, Juden oder auch Homosexuelle ist noch schlimmer geworden. So schlimm, dass es Tote gegeben hat.
Wenn am Mittwoch das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma eingeweiht wird, führen Sie Ihr Concerto „In Memory for my People“ auf. Wie ist dieses Stück entstanden.
Ein israelischer Freund hat mich auf die Idee gebracht. Dem war bei KZ-Besuchen aufgefallen, wie viele Roma dort ermordet wurden. Eigentlich habe ich das Concerto anlässlich des 50. Jahrestags des Endes des Holocaust komponiert. Auf der Basis einer Melodie, die ich von meiner Großmutter habe. Um die herum habe ich das Stück geschrieben und für große Orchester arrangiert. Seitdem spiele ich bei Auftritten oft Teile des Concertos und erkläre dem Publikum, was ich da warum geschrieben habe. Die Leute sollen etwas von der Geschichte und Kultur der Roma kennenlernen. Ja, es gibt Kriminalität bei den Roma – aber die gibt es auch bei anderen Leuten. Letztendlich gibt es nur gute Menschen – und schlechte. Aber das den Leuten zu erklären, ist – besonders in Ungarn – sehr schwierig.
Wieso?
Wenn man hier lebt, kann man sich das gar nicht vorstellen. Ein Beispiel: Zwei Schüler meiner Musikschule waren zu Besuch in Berlin. Nach ein paar Tagen habe ich sie gefragt: Wie fühlt ihr euch? Beide sagten: Unglaublich, wir haben das Gefühl, Gleiche unter Gleichen zu sein. Das kannten sie nicht aus Ungarn.
1980 haben Roma-Aktivisten die KZ-Gedenkstätte Dachau besetzt, weil die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma im offiziellen Gedenken nicht vorkamen. Nach 32 Jahren kommt jetzt dieses Denkmal. Hat es zu lange gedauert?
Es ist eigentlich unglaublich. Dabei müsste eigentlich nicht nur hier so ein Denkmal gebaut werden, sondern auch in Ungarn und allen anderen Ländern, wo Sinti und Roma ermordet wurden. Immerhin. Wir haben lange gewartet. Aber jetzt wird es passieren.
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