Musealisierung: 170 Jahre Krawall
Das Schleswiger Volkskunde Museum nimmt sich in einer Ausstellung der Protestkultur im Lande an und dokumentiert die Bewaffnung und Ausrüstung von Polizei und Demonstranten.
Nein, nein. Das bringt man erst mal nicht zusammen. Schleswig-Holstein und Krawall. Schon gar nicht mit "Krawall!", also so einem lauten Krawall mit einem Ausrufezeichen, das ja die Form eines Schlagstocks hat, von dem Blut tropft.
Die Sonderausstellung "Krawall!" im Volkskunde Museum in der Suadicanistraße in Schleswig beginnt mit Schlagstöcken, die von der Decke hängen, und mit Pflastersteinen, die ebenfalls von der Decke hängen. Aus Lautsprechern rufen Demonstranten anlässlich einer 2005 in Kiel stattfindenden NPD-Veranstaltung: "Nazis raus", und die Polizei sagt, dass man den Platz räumen soll, anderenfalls mache man sich schuldig. Da ist er - der Krawall.
"Nicht Krieg, nicht Revolution, Krawall ist irgendwas drunter", sagt Kunsthistoriker Carsten Fleischhauer, einer der beiden Kuratoren. Eine Definition von Pierers Universal-Lexikon von 1860 lautet: "Krawall (...) eine mit Lärmen, Demoliren etc. verbundene politische Demonstration (meistens nur der niedersten Volksschichten) von größerem Umfang."
Im Jahr 2006 bekamen Schleswigs Volkskundler die polizeigeschichtliche Sammlung des Pfarrers Wolfgang Kroker und von der in Eutin sitzenden Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung die Lehrmittelsammlung geschenkt. Da hat man eine Seite des Krawalls schon beisammen.
Fehlen die "niedersten Volksschichten". Am 28. Januar 1928 demonstrieren 20.000 Anhänger der Landvolkbewegung, darunter "Bauerngeneral" Claus Heim, in Heide. Es war die Zeit, als Bauern pleite gingen, Höfe versteigert wurden, der Landmann sich verraten und verkauft fühlte. Heim war ein dithmarscher Dickkopf, antisemitisch, reaktionär, gewaltbereit und anti-demokratisch. In der Vitrine eine von Heim gebastelte Bombe. Er wurde für 13 Sprengstoffanschläge gegen Finanz- und Landratsämter zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt.
Da ist der "Butterkrieg" vom August 1848, ein Hungeraufstand wie es viele gab. Mehrere hundert Arbeiter sollen bei Husum einen Koog eindeichen. Das Wetter ist schlecht, ständig müssen die Arbeiten unterbrochen werden, die Bezahlung ist entsprechend mies. Zum "Krawall!" kommt es, als ein Husumer Händler auf dem Wochenmarkt Butter aufkauft und damit den Preis in die Höhe treibt. Aufruhr bricht los, der Marktplatz wird verwüstet, das Haus von Kaufmann Petersen attackiert, Fensterscheiben gehen entzwei, Plünderungen. Die mit Knüppeln bewaffnete Husumer Bürgerwehr schafft Ordnung. Die Anführer der Aufrührer werden festgesetzt und bekommen Prügelstrafen aufgebrummt, die öffentlich vollstreckt werden.
"Krawall!" auch in Folge des "Kapp-Putsches", bei dem Freikorpskämpfer versuchen, die Weimarer Republik zu stürzen. Der Kieler Militärbefehlshaber Magnus von Levetzow hält zu den Putschisten. Zu blutigen Zusammenstößen kommt es, als Arbeiter, die sich mit Waffen und Munition versorgen wollen, beim Marinearsenal und beim Depot Dietrichsdorf auf Soldaten treffen. Als der Kapp-Putsch in Berlin im März 1920 dank SPD und Generalstreik der Gewerkschaften zusammenbricht, geht es in Schleswig erst los. In Kiel dauern die Kämpfe drei Tage, bis zum 20. März gibt es 68 Tote.
Danach wird Konteradmiral von Levetzow festgenommen und nach kurzer Haft aus der Reichsmarine entlassen. 1932 wird er NSDAP-Reichstagsabgeordneter und von 1933 bis 1935 Berlins Polizeipräsident, wo er die Gleichschaltung der Polizei und den Aufbau der Gestapo betreibt. Krawall als Karriere-Sprungbrett.
Im Nationalsozialismus werden, wie Fleischhauer sagt, "Krawall und Staatsmacht" eins: SA-Männer und Polizisten gehen zusammen Streife. Die Polizei wird Heinrich Himmler, dem "Reichsführer SS", unterstellt. Die Ausstellung zeigt uns ein Braunhemd in der Vitrine und eine Akte einer Generalstaatsanwaltschaft, in der steht, was die Polizei in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 alles nicht schützen soll: Synagogen, jüdische Geschäfte, und welche Straftaten sie nicht verfolgen soll: Mord, wenn die Opfer Juden sind.
Dann ein wenig fünfziger Jahre: Krawall bei Konzerten von Bill Haley. In den sechziger Jahren Ostermarsch und Demos gegen Fahrpreiserhöhungen der Kieler Verkehrsbetriebe.
Und dann: Brokdorf. In den Vitrinen Ausrüstung der Polizei, Ausrüstung der Demonstranten, die vor allem 1976, 1981 und nach Tschernobyl 1986, massenhaft auftraten. Eine Bügelflasche Flens wird zum Molly, das "Plopp" laut. Schleudern und Zwillen, ein Stuhlbein mit Handschlaufe, ein Kabelstrang, ein Mülltonnendeckel mit der Aufschrift "Hamburg 1972", als Schutzschild. Das ist mit Liebe gebastelt und zusammengetragen.
In Brokdorf, sagt Kurator Guntram Turkowski, "entsteht der Krawalltourismus: Die Polizisten sind aus dem ganzen Land, die auf der anderen Seite des Zauns auch". Was die Auseinandersetzungen des Jahres 1986 angeht, ist hier vielleicht der Übergang von "Krawall!" zu Bürgerkrieg. Der Schrecken über die Aggressivität vor allem auf Seiten der Polizei, "wirkt noch heute nach", sagt Turkowski.
Am 30. Januar 1999 kommt es in Kiel zu Auseinandersetzungen um die vom Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944". Die in Schleswig-Holstein präsente NPD demonstriert gegen die Ausstellung, Motto: "Der Soldaten Ehre ist auch unsere Ehre" und: "Opa war in Ordnung". Gewerkschaften und Grüne mobilisieren gegen die Neonazis, 1.600 Polizisten versuchen, die Lager zu trennen. Autonome machen "Krawall!", der Sachschaden beläuft sich auf mehrere hunderttausend Mark. Gut Krawall also im als beschaulich geltenden Land.
Die Ausstellung präsentiert das Laute angenehm leise. Nicht nur, aber auch das, sorgt für einen spannenden Rundgang. Wer hinguckt, erkennt den Humor der Kuratoren: Über einem Transparent der Autonomen schaut eine unauffällige Überwachungskamera auf die Besucher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“