Mursis Berlin-Besuch: Keine Details
Mursi gibt sich in Berlin als Staatsmann - und prangert bei seinem Besuch auch den Westen an. In Fragen der Religion bleibt er vage.
BERLIN taz | Da ist die Sache mit den Affen und Schweinen. Kurz vor seiner Deutschland-Reise war ein Video aus dem Jahr 2010 publik geworden, in dem Mohammed Mursi zu sehen ist, wie er in Islamisten-Manier von „Zionisten“ als „Söhne von Affen und Schweinen“ schwadroniert. Die US-Regierung hatte sich über diese peinliche Enthüllung empört, und auch Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo ließ es sich nicht nehmen, den ägyptischen Präsidenten gleich zu Beginn seiner Fragerunde auf das heikle Zitat anzusprechen.
Mursi entgegnete entnervt, er habe diese Frage heute schon fünf Male und in Kairo schon zehn Mal beantworte. Dann aber ließ er sich auf einen längeren Exkurs über die israelische Besatzung, Blutvergießen und das Recht der Palästinenser auf Widerstand ein. Er betonte, dass er nichts gegen das Judentum habe, das verbiete ihm schon seine Religion.
Entschuldigen wollte er sich für seine Äußerung aber nicht, auch wenn Mascolo das aus ihm heraus zu kitzeln versuchte. Sie sei „aus dem Zusammenhang gerissen“ worden, wich er aus. Es war die erste große Reise des neuen ägyptischen Staatsoberhaupts ins westliche Ausland. Doch wegen der anhaltenden Spannungen in seinem Land wurde sie drastisch gekürzt.
Von den zwei Tagen, die er nach Berlin kommen wollte, blieben keine 24 Stunden mehr übrig, die Anschlussreise nach Paris wurde ganz storniert. Auch der Empfang bei Bundespräsident Joachim Gauck fiel aus. Doch den öffentlichen Auftritt am Abend vor 200 geladenen Botschaftern, Wissenschaftlern, Studenten und Journalisten wollte Murse sich offenbar nicht nehmen lassen. Sein Besuch in Deutschland diente schließlich nicht nur dazu, um über Finanzhilfen und Investitionen zu verhandeln.
Er sollte vor allem helfen, sein Image zu Hause und Ausland aufzupolieren nach dem Motto: Mursi kann Staatsmann. Seine antiisraelischen Ausfälle aus seiner Zeit, als noch niemand ahnen konnte, dass er einmal Präsident seines Landes werden würde, holten ihn da aber ein. Auch die Gewalt auf den Straßen seines Landes überschattete seinen Staatsbesuch. Mursi mühte sich nach Kräften, die Warnung seines eigenen Armeechefs zu relativieren, der gesagt hatte, Ägypten drohe ein Zusammenbruch des Staates. Er stellte die Gewalt als ein Übergangsphänomen und Erblast des alten Regimes dar und versprach, der Ausnahmezustand werde höchstens einen Monat lang gelten - oder schon früher aufgehoben, wenn die Situation es zulasse.
Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, richtete sich aus dem Saal an den ägyptischen Präsidenten und zeigte sich enttäuscht darüber, dass Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit ausgeblieben seien. Mursi wollte das so nicht stehen lassen. Er spielte die Anzeigen gegen Journalisten zu Einzelfällen herunter, sagte, dies sei nicht die Linie seiner Regierung und behauptete, es gebe weltweit wohl keinen Präsidenten, der so exzessiv kritisert werde wie er selbst. Dies wäre für den Spiegel-Chefredakteur eine gute Gelegenheit gewesen nachzuhaken und zu fargen, warum Ägypten in Sachen Pressefreiheit auf dem Index von „Reporter ohne Grenzen“ noch immer auf dem traurigen Rang 158 herum dümpelte.
Statt dessen wollte er vom ägyptischen Präsidenten nur wissen, ob an Ägyptens Stränden weiter Bikinis erlaubt blieben und ob deutsche Touristen ein Alkoholverbot fürchten müssten - was man halt so fragt, wenn man das Land nur aus der Sicht eines Urlaubers kennt. Die Antwort des Präsidenten fiel allerdings so vage aus, dass sie viele Hoteliers am Roten Meer beunruhigen dürfte. Statt klipp und klar zu sagen, dass der Tourismus nicht angetastet werde, sprach Mursi ganz allgemein über Freiheit, Verantwortung und allgemeine Verhaltensregeln, und fragte ironisch, ob Alkohol am Steuer in Deutschland nicht auch strafbar sein. Viel mehr ließ sich Mursi nicht entlocken, denn seine Begleiter drängten ihn zum Aufbruch.
Nachdem der Präsident mit einer Stunde Verspätung zu der Veranstaltung gekommen war, hatte er es eilig, sie pünktlich nach einer Stunde wieder zu verlassen. Gut möglich, dass ihm auch manche Fragen zu kritisch waren. Zuvor hatte Mursi allerdings Gelegenheit gehabt, sich mit einer Rede selbst insrechte Licht zu setzen. Er nutzte seine Ansprache, um dem Westen vorzuwerfen, dieser habe jahrzehntelang die autoritären Regimes in der Region unterstützt.
Sein Interesse an Stabilität und der Bekämpfung von Extremisten habe der Westen über alles gestellt, das sei „unmoralisch und unmenschlich“ gewesen. Nun aber sei eine neue Zeit angebrochen, die arabischen Völker hätten sich emanzipiert. Es klang, als habe sich sein Land gerade erst vom Joch des Kolonialismus befreit . Im Westen verkennt man häufig, dass es gerade diese „antiimperialistische“ Kritik an der Politik des Westens ist, mit der islamistische Bewegungen wie die Muslimgrüder in ihrer Region so gut punkten können.
Denn in Punkto Religion blieb Mursi vage. Wie schon in den Interviews, die er vor seinem Besuch in Deutschland gab, betonter auch in Belin, dass er weder Gottesstaat noch eine Militärdiktatur anstrebe, sondern Rechtsstaat und Demokratie. Stolz unterstrich er, dass er als erster ziviler Präsident seines Landes aus freien Wahlen hervor gegangen sei, und dass der demokratische Wandel seines Landes „unumkehrbar“ sei.
Inwieweit die Achtung vor Menschenrechten mit islamischen Vorstellungen, wie er sie vertritt, zu vereinbaren sei, wollte später ein zugeschalteter Frager über Twitter wissen, den Mascolo zitierte. Die neue Verfassung garantiere gleiche Rechte für alle Bürger und räume Religionsgemeinschaften wie den Christen wie bisher große Freiräume ein, ihre zivilen Angelegenheiten selbst zu regeln, erwiderte Mursi. „Die Details“ aber hingen vom „Willen des Volkes“ ab.
Während Mursis Besuch in Berlin hatten gleich mehrere Gruppen gegen ihn protestiert. Neben einer koptischen Demonstration gab es auch eine Kundgebung von Amnesty International, die mit zwei überdimensionalen Noftetete-Figuren vor dem Kanzleramt auffuhr. Eine davon trug eine Gasmaske, die andere einen blutigen Verband, um die Polizeigewalt der letzten Tage in Ägypten anzuprangern.
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