Murat Kurnaz über Guantánamo: „Obama ist ein Versager“
Der Film „5 Jahre Leben“ erzählt von Murat Kurnaz' Gefangenschaft in Guantánamo. Ein Gespräch mit dem Ex-Gefangenen über den Umgang mit Erinnerungen.
taz: Herr Kurnaz, am Donnerstag läuft im Kino „5 Jahre Leben“ an, ein Spielfilm über zwei Jahre Ihrer Inhaftierung in Guantánamo. Wie real ist für Sie das Gefangenenlager seit Ihrer Entlassung im Jahr 2006 geblieben?
Murat Kurnaz: Sehr real. Denn die Realität ist, dass es Guantánamo immer noch gibt.
Momentan befinden sich über hundert Insassen im Hungerstreik. Was empfinden Sie, wenn darüber berichtet wird?
Ich weiß, was sie durchmachen, ich weiß es, weil ich es selbst durchgemacht habe. Das Einzige, was ich heute hier für sie tun kann, ist, an die Öffentlichkeit zu gehen und zu berichten.
Ist das Hungern erfolgversprechend?
Im Hungerstreik darf man nicht sterben, man muss überleben – darum geht es eigentlich. Dafür gibt es ja die Zwangsernährung.
31, wird im Herbst 2001 auf einer Reise nach Pakistan festgenommen und an die Amerikaner verkauft, Er kommt ins Gefangenenlager Guantánamo und ist dort von 2002 bis 2006 inhaftiert. Heute lebt Murat Kurnaz wieder in Bremen. Das Foto zeigt ihn im Jahre 2007.
Kommen Ihre Erinnerungen daran wieder hoch?
Ich habe kein Problem damit, ich halte das aus, ich hab das hinter mir, aber umso mehr tun mir die Gefangenen leid.
Schenken Sie Obamas Worten, Guantánamo schließen zu wollen, überhaupt noch Glauben?
Nein. Obama ist ein Versager für mich. Aber er konnte mich nicht enttäuschen, weil ich seinen Worten von Anfang an nicht geglaubt habe. Er hat Werbung damit gemacht, dass er Guantánamo schließen würde, das war vor der Wahl – und danach hat er nichts getan.
Trotzdem wurde er wiedergewählt.
Ja, und wieder hat sich nichts getan. Und er spricht jetzt auch nicht mehr von der Schließung, sondern maximal von einer Verlegung in die USA.
Wenn er vor Ihrer Tür stünde, um sich persönlich bei Ihnen zu entschuldigen, was würden Sie ihm sagen?
Solange Guantánamo existiert, würde ich die Entschuldigung nicht annehmen.
Angenommen, Guantánamo würde nicht mehr existieren?
Was soll ich da sagen? Vielleicht würde ich zu ihm sagen: Das wurde aber auch langsam Zeit. (lacht) Ich werde mich jedenfalls nicht bedanken.
Könnten Sie denn verzeihen?
Menschen, die für Guantánamo verantwortlich sind? Nein.
Sie sind 2001 nach Pakistan gefahren, um Ihren Glauben zu stärken, dann wurden Sie festgenommen, waren fünf Jahre in Haft, wurden gefoltert und misshandelt. Ist Ihr Glaube daran zerbrochen?
Nein, ganz im Gegenteil, er ist stärker geworden.
Sie haben Waterboarding, Zwangsernährung und Isolationshaft überlebt. Kann man nach solch einer Erfahrung wieder in einen Alltag finden?
Meine Familie hat hier auf mich gewartet, sie hat mich nach meiner Entlassung abgeholt, sie hat mich nach Hause gebracht. Ich versuche, ein normales Leben zu führen, meinen Hobbys nachzugehen.
Arbeiten Sie denn wieder?
Ich bin Menschenrechtsaktivist. Publizist, Autor meines Buches.
Wie reagieren Menschen auf den Namen Kurnaz?
Unterschiedlich, die meisten haben Angst, das ist leider die Realität. Aber es gibt ja auch Menschen, die das anders sehen.
Mit dem Film „5 Jahre Leben“ wurde nun Ihre Geschichte verfilmt. Kann ein Film Wirklichkeit wiedergeben?
Die Wirklichkeit ist brutaler. Aber der Film ist in Ordnung so. Mehr Details wären nicht besser. Die meisten finden das auch so brutal genug.
Welche Szene kommt Ihrer Meinung nach denn der Wirklichkeit besonders nahe?
Die Szene der Isolationshaft. Der Schauspieler hat dafür auch zwanzig Kilo abgenommen, er hat alles dafür getan, um der Realität nahezukommen. Das ist eine echte Leistung.
Was erhoffen Sie sich von dem Film?
Ich hoffe nicht; eigentlich hoffe ich auf gar nichts. Ich bin froh, dass der Film zustande gekommen ist. Und jeder, der den Film sieht, kann selbst entscheiden, welche Meinung er sich bildet. Wie es gewesen sein kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“