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Zukunft von Guantánamo-HäftlingHoffnung nach zwölf Jahren Haft

Deutschland prüft die Aufnahme eines Gefangenen des US-Straflagers. Dabei soll es sich um den Marrokaner Younis Chekkouri handeln.

Will raus aus Guantánamo: Younis Chekkouri (auf einem Fahndungsfoto der italienischen Polizei von 2001). Bild: ap / dpa

BERLIN taz | Die letzte öffentliche Nachricht von Younis Chekkouri ist ein Hilfeschrei. „Die Dinge hier werden immer schlechter“, schrieb der 46-Jährige vor einem Jahr in einem Brief an seine Anwältin, den der Sender Al Dschasira veröffentlichte. Er erfahre immer wieder willkürliche intime Leibesvisitationen, erlebe Misshandlungen und Erniedrigungen. „Heute wünschte ich mir nach all dem eine Herzattacke, um mein Leid zu beenden.“

Seit zwölf Jahren ist Chekkouri Häftling im US-Gefangenenlager Guantánamo. Nun könnte sich für ihn doch noch eine Perspektive eröffnen: Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte, dass am Dienstag ein Ersuchen der US-Regierung einging, einen Guantánamo-Häftling in Deutschland aufzunehmen. Dies werde nun intensiv geprüft. Einen Namen nennt das Ministerium nicht. Nach taz-Informationen aber geht es um Chekkouri.

Schon länger soll die Regierung über dessen Aufnahme verhandeln. Laut Medienberichten hat Chekkouri einen Onkel, eine Tante und einen Cousin, die seit Jahrzehnten in Baden-Württemberg leben. Das Bundesland schließt eine Aufnahme nicht aus. „Sollten wir eine Anfrage bekommen, werden wir das prüfen“, sagte ein Sprecher des Landesinnenministeriums.

Der gebürtige Marokkaner Chekkouri wurde 2001 im pakistanischen Tora-Bora festgenommen und US-Soldaten übergeben. Laut seiner Guantánamo-Akte wird ihm vorgeworfen, sich einer islamistischen Kämpfergruppe, der Moroccan Islamic Fighting Group, angeschlossen zu haben. Chekkouri selbst soll beteuern, es habe sich um eine reine Glaubensgruppe gehandelt. 2009 soll ihn auch die US-Administration mangels Gegenbeweisen für ungefährlich erklärt haben: „cleared for release“, er könne freigelassen werden.

Angst vor Folter in Marokko

Nur ein Aufnahmeland fand sich nicht. Eine Auslieferung nach Marokko soll Chekkouri ablehnen, da ihm dort Folter drohe. Diesen Eindruck habe er nach Befragung durch marokkanische Geheimdienstler in Guantánamo gewonnen. Im vergangenen Jahr trat Chekkouri für mehrere Wochen in den Hungerstreik.

US-Präsident Barack Obama hatte angekündigt, das Lager Guantánamo zu schließen. Heute sitzen dort dennoch rund 150 Gefangene ein. In Deutschland wurden bisher drei ehemalige Insassen aufgenommen.

Im Jahr 2006 kam der Deutschtürke Murat Kurnaz nach fünf Jahren im Lager nach Bremen. 2010 nahm Hamburg den Palästinenser Ayman al-S. auf, und Rheinland-Pfalz den Syrer Mahmoud al-A. Ob nun Chekkouri folgt, bleibt aber ungewiss. 2010 stand ursprünglich noch ein dritter Guantánamo-Häftling auf der Aufnahmeliste für Deutschland: Mohammed Mattan. Die Regierung aber lehnte ihn ab: Anders als bei al-S. und al-A. sei „nicht mit derselben Sicherheit eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszuschließen“.

Die Opposition fordert nun, Chekkouri aufzunehmen. „Es ist ein humanitäres Gebot, Menschen aus der Hölle von Guantánamo zu befreien“, appelliert Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke. „Die Regierung sollte hier großzügig verfahren und sich nicht hinter spekulativen Sicherheitsbedenken verschanzen.“

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2 Kommentare

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  • Der arme Mensch! Er war zur falschen Zeit am falschen Ort... Und wurde vom USA Machtsystem dazu erkoren- als MenschenSchicksalsOpfer- das USA Machtsystem zu legitimieren... Arrgh!!

    Es ist zu hoffen, das er in der BRD eine neue Heimat findet und es schafft die Dehumanisierung seiner Person, die in USA/Guantanomo geschah, zu überwinden!

  • Es sitzen in Guantanamo keine "Gefangenen ein". Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie dort zu Haftstrafen verurteilt worden wären. In Guantanamo werden entgegen jeden Rechts Menschen auf unbestimmte Zeit festgehalten. Auch die US-Verfassung erlaubt dies nicht - sie wird allenfalls so ausgelegt, dass sie für diese Fälle "unanwendbar" sei. Vergleichbar ist dies allenfalls mit Guerilla-Organisationen oder Diktaturen, die unliebsame Leute einfach gefangen nehmen. Niemand würde jedoch sagen, dass Juden im KZ oder die Militärbeobachter in der Ostukraine "eingesessen" hätten.