… WAS MACHT EIGENTLICH ...der Kreuz-Neroberger?
: Munden

Jörg Hinz lebt in der wohl schönsten Erdgeschosswohnung Kreuzbergs. Wenn der Geschäftsführer der Staudengärtnerei „Hofgrün Berlin“ auf seine kleine Terrasse tritt, steht er sozusagen im Weinberg. Um eine Hanglage handelt sich es zwar nicht, aber die Reben wachsen am Fuß des Kreuzbergs, an der Methfesselstraße, wo „Hofgrün“ seit 1995 die ehemalige Bezirksgärtnerei betreibt.

In den vergangenen Wochen fiel Hinzens Blick auf pralle Trauben: Riesling, Kerner und Müller-Thurgau reiften unter der wohlmeinenden Septembersonne aus. „Die Beeren sind klein, aber der Jahrgang wird gut. Dafür hat der heiße Juli gesorgt“, freut sich der Gärtner, der mit seinem Kollegen Manfred Schmidt den winzigen Wingert für den Bezirk pflegt. Wein wurde hier schon im 15. Jahrhundert angebaut, der derzeitige Bestand ist exakt 38 Jahre alt: 1968 schenkte die Partnergemeinde Wiesbaden dem Bezirk die ersten Stöcke, 1970 zog das rheinhessische Ingelheim nach. Seitdem wächst hier, von der Sonne und einer wärmespeichernden Brandmauer verwöhnt, der Kreuzberger Wein heran.

Gestern war Lese: Azubis und Praktikanten erleichterten die Reben an einem Vormittag um eine knappe Tonne Weinbeeren, die anschließend in flachen Plastikwannen auf den Transport an den Rhein warteten. Gekeltert und ausgebaut wird nämlich in Wiesbaden (der Riesling und der Kerner) beziehungsweise Ingelheim (der rote Müller-Thurgau).

Wirtschaftsstadtrat Lorenz Postler (SPD), dem der Weinbau untersteht, freute sich über die gute Prognose für den Jahrgang. Er findet, dass das Produkt, das der Bezirk an Jubilare oder Ehrengäste verschenkt, in den vergangenen Jahren an Qualität gewonnen hat: „Früher ging die Rede vom ‚Drei-Männer-Wein‘ – einer trinkt, zwei halten ihn fest. Weil er so sauer war.“

Tatsächlich überrascht der 2005er „Kreuz-Neroberger“ (weiß) durch hohen Alkoholgehalt, beachtliche Restsüße und fruchtige Noten. Essig schmeckt anders. Und auch im frischen Most steckt einiges: Die Messung mit dem Refraktometer ergab 86 Grad Öchsle für den Riesling und über 90 für den Müller-Thurgau.

Was viele nicht wissen: Der Bezirk verkauft den Wein zwar nicht, gibt aber gegen eine Spende von mindestens 10 Euro kleine Mengen ab. Wer die Sonne aus Hinzens Garten auf der eigenen Zunge fühlen will, muss sich beeilen: Für mehr als 800 Fläschchen à 0,375 Liter reicht die Ausbeute nicht. CLP
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