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Mumifiziertes Trauma?

Gedenkstätte der bedingungslosen Kapitulation  ■ Von Gabriele Goettle

Am 22.Juni 1941, einem Sonntag, fielen in sternklarer Nacht, Punkt drei Uhr, drei Millionen deutsche Männer in die Sowjetunion ein. Sie führten 500.000 Pferde, 75.000 Schäferhunde, 600.000 Kraftfahrzeuge, Panzer, Geschütze, Munition, Feldlazarette, Feldküchen und Verpflegung für ihren „Blitzkrieg“ mit sich. Es gab keine Aufkündigung des „Nichtangriffsvertrages“, keine Kriegserklärung, keinen Vorwand. Der Generalfeldmarschall von Brauchitsch führte das „Unternehmen Barbarossa“ an. Ziel des Überfalls war die Vernichtung der Sowjetunion, des „jüdisch-bolschewistischen Zersetzungswerks“, Aneignung und Nutzbarmachung des Ostraumes zur Versorgung Deutschlands. Zum alles „entscheidenden Waffengange gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur“ gratulierten nicht nur die Vertreter der „gesamten evangelischen Christenheit des Reiches“ dem Führer per Telegramm.1

Dieser Kreuzzug gegen das Böse war bürokratisch flankiert von zivilen Dienststellen. Ein Heer von Experten plante und veranlaßte Maßnahmen zur völligen Umstrukturierung der unterworfenen Gebiete. Die systematische Bevölkerungspolitik umfaßte „Umschichtungen, Hungerzonen, Reduzierungen“, Zwangsarbeit in großem Maßstab war vorgesehen und Liquidierung. Die optimale Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und Ressourcen war ausschließliches Ziel. „Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig“, konstatierte der „Wirtschaftsstab Ost“ 1941 sachlich.

Gegen die Überflüssigen entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, war bis in die juristischen Fragen hinein bereits im voraus geregelt. „Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist“, heißt es unter Punkt1 eines von Keitel unterzeichneten Erlasses über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit.2 Die Behandlung des Rotarmisten war ohnehin eine Selbstverständlichkeit angesichts eingefleischter Abscheu und vermeintlicher kultureller Überlegenheit. Ihm war erst recht keinerlei Gnade zugedacht: „Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskrieg.“3

In der Roten Armee hingegen scheint es anfangs einige Mißverständnisse bezüglich des deutschen Wesens gegeben zu haben. Michail Semirjaga, ehemals Hauptmann, berichtet unter anderem folgendes: „In den ersten Kriegstagen rechneten wir, die wir doch im primitiv verstandenen Geist des ,Klassenkampfs‘ erzogen worden waren, naiv damit, daß die deutschen Arbeiter und Bauern als Antwort auf die Aggression gegen die UdSSR einen bewaffneten Aufstand gegen den Faschismus beginnen würden. (...) Wir riefen die Arbeiter in den Wehrmachtsuniformen eindringlich dazu auf, sich zu besinnen. (...) Etwa im Juli/August 41 wurde nun beschlossen, die bisherige Losung der ,proletarischen Brüderlichkeit mit den Deutschen‘ gegen die Maxime ,Tod den Okkupanten‘ und ,Töte den Deutschen‘ auszutauschen.“4

Von den 160 Millionen Einwohnern, die 1941 in der Sowjetunion lebten, sind nach neueren Berechnungen 27 bis 32 Millionen durch direkte Kriegsgewalt oder deren Folgen ums Leben gekommen, darunter ein Großteil der sowjetischen Juden, der Zigeuner. Wie hoch der Anteil der Zivilbevölkerung insgesamt ist — falls eine solche Frage überhaupt einen Sinn ergibt —, läßt sich wohl nur vermuten. Die gewaltigen Zerstörungen, die Wehrmacht und SS bei ihrem Rückzug hinterließen, waren von einem Ausmaß, das jede Naturkatastrophe in den Schatten stellt. Sie wirken sich bis heute aus, politisch und materiell, und es ist schon merkwürig zu sehen, wie gut es 47 Jahre nach dem Krieg den Besiegten und wie schlecht den Siegern geht.

*

Es ist ein schöner Frühlingstag 1992. Bauschige Wölkchen ziehen über dem „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945“ davon. Im Garten stehen schwere Waffen mit kalkig grünem Anstrich. Neben dem Eingang ein Panzer des Typs T34, der mit seinen dicken Platten und enormen Schweißnähten so aussieht, als hätte ihn ein gerade angelernter Hufschmied für die Ewigkeit gemacht. Im Wachhäuschen neben der Auffahrt drängen sich vier Rotarmisten, die Tellermützen vor sich übereinandergestapelt. Geöffnet wird erst um 15Uhr. Die Straße, die vormals Fritz-Schmenkel-Straße hieß, heißt nun wieder Rheinsteinstraße, wie vor dem Krieg. Sie führt vom Museum in gerader Linie Richtung S-Bahnhof Berlin-Karlshorst. In den Villen und Wohnhäusern rechts und links wohnen russische Offiziersfamilien in sichtbar bescheidenen Verhältnissen. Im ersten Stock eines heruntergekommenen Mietshauses gibt es einen russischen Laden für Waren, die wohl eher der Luxuskategorie zugeordnet sind, westliche Textilien, Toilettenartikel, Geschirr, Elektrogerät. Aber auch lange Pelzmäntel aus Wolfsfell, die vielleicht aus China stammen. Am meisten begehrt und gekauft werde, erklärt mir die russische Verkäuferin, das Sportliche. Jogginganzüge bekannter Firmen, amerikanische Baseballmützen und jene am Gürtel befestigten Täschchen, die man über dem Genital trägt.

Zurück zum Museum. Das zweistöckige Gebäude ist von der klobigen Sachlichkeit nationalsozialistischer Zweckbauten. Nichts stimmt, alles wird zitiert. Mit dem Zeltdach sieht es aus wie ein zu kurz geratener Wachturm, der säulenbespickte Eingang sollte ans Führerhauptquartier erinnern. Diese Art von Architektur haben die Nazis überall errichten lassen, aus Ziegeln oder in Granit, in Auschwitz, Mauthausen, Ravensbrück, als Verwaltungsgebäude, Kommandantenvilla, Kasino.

Durch eine jammervoll in den Angeln quietschende schwere Holztür betritt man das Haus und gelangt, über ein paar Stufen und durch eine weitere Tür hindurch, direkt vor den ersten Saal, der Lenin gewidmet ist. Es riecht nach fremden Reinigungsmitteln und Bohnerwachs. Von einem Raum weiter rechts erschallt das Lachen von Frauen, die sich in russischer Sprache unterhalten. Dort gibt man mir eine Broschüre und freundliche Auskünfte.

Im Leninsaal führt ein roter Läufer direkt unter die Füße einer überlebensgroßen Leninskulptur aus bronzefarbenem Gips. Rings an den Wänden sind Fotos und Dokumente zu sehen, der junge Lenin 1895 in Berlin, Lenins Uhr als Hologramm, Lenins Bibliothekstisch mit grünbeschirmter Gaslampe in der Mitte des Raums, auf einem Theaterzettel ist zu lesen, was am 8.August 1895 auf dem Spielplan stand. Lenin war nicht, so erfahren wir, im Apollo Theater, wo manEin Abenteuer im Harem gab, auch nicht im Berliner Wäschermädel oder inDer Sturm, er besuchte statt dessen im Deutschen Theater Die Weber. Dafür bekam er zu DDR-Zeiten eine ausgesprochen lieblos gemachte Tafel mit Porträt und Aufschrift dort angebracht.

Dieser Leninsaal gleicht nicht dem, der in meiner Broschüre abgebildet ist. Den vermutlichen Grund dafür kann der Besucher den reichlich in russischer Sprache ausliegenden Leninbroschüren entnehmen. Sie sind Mitte der achtziger Jahre vom „Museum für Deutsche Geschichte“ in der DDR herausgegeben worden und wohl, nach der Schließung des Museums, zusammen mit der „Gedenkstätte Lenin in Berlin“ hierher nach Karlshorst gekommen. Jedenfalls findet sich auf Seite16 ein Foto, das dem, was ich hier sehe, sehr gleicht.

In den Nebenräumen wird mit Fotos, Dokumenten, Plakaten, Fahnen, Waffen über die Terrorherrschaft des Faschismus, über Widerstand und Sieg informiert. Unter Glas liegen Originale. Gestreifte Häftlingskleidung, eine „Zyklon-B“-Büchse, Gegenstände aus Häftlingsbesitz, eine gläserne Urne mit Menschenasche aus dem KZ Buchenwald.

In drei Räumen wird der einzelnen Schlachten gedacht, besonders der Schlacht an der Wolga (bei der sich die militärische Lage zugunsten der Roten Armee änderte). Es gibt alle Arten militärischer Devotionalien. Bei der Abteilung über die Partisanen findet sich auch ein Foto jenes Fritz Schmenkel, nach dem die Straße benannt war. Er lief als Wehrmachtsangehöriger zu den sowjetischen Partisanen über, wurde 1944 von der SS gefaßt und in Minsk hingerichtet.

Vieles ist hier ausschließlich in Russisch beschriftet, aber der Sinn des Gezeigten erschließt sich dem Betrachter meist dennoch. Man atmet geradezu auf, wenn endlich einmal nicht diese bei uns üblichen didaktischen Texttafeln die Wände bedecken. Hier wird mit geradezu üppiger Überladenheit aufgewartet. Sowas kennt man bei uns allenfalls aus Wallfahrtskirchen oder Preußenausstellungen.

Im historischen Saal ist alles poliert und gebohnert, auf den Tischen stehen gläserne Karaffen mit Wasser, Gläser, und vor jedem Platz liegt auf dem grünen Filz ein weißes Blatt Papier von besonders schwerer Qualität. So wie es aussieht, könnten gleich die Türen aufgehn, und herein kämen Schukow und die Vertreter Englands, Frankreichs und der USA, ihre Sekretäre, die Protokollanten und Beobachter. Durch die andere Tür kämen Keitel und seine Begleiter, das Monokel im linken Auge, in der Rechten den Marschallstab. Es muß ein grotesker Anblick gewesen sein. Hier also unterzeichnete er den Kapitulationsvertrag. Schukow schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Das war nicht mehr der überhebliche Keitel, der die Kapitulation des besiegten Frankreich entgegengenommen hatte.“

An der Wand hinter dem Tisch des Präsidiums hängen die vier Fahnen der Alliierten an goldenen Fahnenstangen und sehen aus wie vertrocknet. Die gegenüberliegende Wand wurde von den Sowjets mit hohen rosafarbenen Marmortafeln versehen, auf denen die Namen all jener Einheiten der Roten Armee verzeichnet sind, die am Kampf um Berlin teilnahmen. Auf dem kleinen Tisch für die Deutschen, der abseits steht und dessen Stühle als einzige im Raum kein gepolstertes Rückenteil haben, steht ein sinnfälliges Tintenfaß auf Sockel, flankiert von zwei Schäferhunden. Auf den Fotografien vom Kapitulationsakt, die in einer Mappe ausliegen, ist von Schäferhunden nichts zu sehen. Aber was soll's, nur Historiker sind Fanatiker absoluter Authentizität.

Von hier aus führt ein schmaler Flur zum Kinosaal und weiter bis zur Treppe zum Obergeschoß. Ganz in der Ecke in schlechtem Licht ist eine Vitrine, in der Fotos hängen. Abgebildet sind die beim Nürnberger Prozeß zum Tode Verurteilten; zu Lebzeiten und nach der Vollstreckung des Urteils: Göring, Keitel, Kaltenbrunner, Streicher, Frick und so fort liegen mit seltsam entstellten Gesichtern auf schwarzen, sargähnlichen Kisten. Einige haben den Henkersstrick um den Hals.

Im Obergeschoß sind sieben weitere Räume, in denen die „Berliner Operation“ dargestellt wird. Man geht auf braunem Teppichboden unter weißgrauem Neonlicht, durch dick mit beiger Ölfarbe lackierte Gänge dahin, vorbei an sorgfältig modellierten Büsten sowjetischer Marschälle, an zweifachen, dreifachen und vierfachen Helden der Sowjetunion. Es gibt ein raumfüllendes Modell von Berlin, auf dem nacheinander in Reihen rote und grüne Lämpchen aufleuchten und so die etappenweise Eroberung der Stadt verdeutlichen, vom April 45 bis zur Eroberung des Reichstages. Die grünen sind, glaube ich, die Verteidigungslinien der Deutschen. Bebildert wird dieser vielleicht ein wenig abstrakte Vorgang durch hochdramatische Bleistiftzeichnungen, die ringsum an der Wand hängen. Sie zeigen Kämpfe, Trümmerberge, Verletzte, Tote und sind handwerklich von sehr guter Qualität, wie die

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meisten Zeichnungen, Gemälde und Plastiken sowjetischer Künstler, die hier zu sehen sind.

Es fehlt nicht an liebevoll angefertigten Miniaturen von Kriegsschiffen, Panzern, Flugzeugen, Kanonen, an Waffen, Uniformen, Tretminen, umrahmt von Fotowänden, Fahnen, Plakaten. Im Raum 11 befindet sich ein großes Diorama mit schmissig gemalter Erstürmung des Reichstages. Davorgebaut sind Schützengräben, Stacheldrahtverhaue, verkohlte Balken. Das Licht im Raum wird ausgeschaltet und aus dem dramatisch beleuchteten Diorama ertönt Maschinengewehrknattern, ein Krachen, Splittern, Panzerrasseln, durchdrungen von schrillen Schreien. Mit mir im Raum ist eine amerikanische Besuchergruppe — von der man ja nun wirklich anderes erwarten könnte — und steht andachtsvoll ergriffen da, bis das letzte Stöhnen verklungen ist.

Was ist dagegen schon Marschall Shukows Uniformjacke, die neben Mütze, Feldkarte und Zirkel in einer Vitrine hängt, und ohne den stützenden Leib ganz aus der Form geraten ist. Und wo ist die Hose? An der Türfassung lehnt die Aufsicht, ein zierlicher Rotarmist, genau in dem Alter, in dem Millionen von russischen Soldaten waren, als sie ins Gras bissen. Er kaut versonnen einen Kaugummi und läßt ab und zu laut knallend eine Blase zerplatzen, indem er sie nach innen, in seine Mundhöhle saugt. Sowas klingt hier gleich wie ein Schuß.

Zu sehen bekam ich ein Militärmuseum, eingerichtet von Leuten und für Leute, die militärgeschichtlich-patriotisches Interesse an diesem Krieg haben. Von Offizieren, denen die ritualisierten Abläufe vertrauter Alltag sind. Dennoch fehlt es hier nicht an echt wirkender Naivität und glaubhafter Entrüstung. Und natürlich schon gar nicht am Anlaß fürs heroische Pathos, mit dem die zum Großen Vaterländischen Krieg verklärte Abwehrschlacht gegen den Faschismus sich widerspiegelt. Es hat sich die ganze Tragödie niedergeschlagen, Stalinismus, Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg bis zum Niedergang des Sowjetkommunismus. Das Museum ist miniaturisierter Ausdruck dieser Geschichte, ihrer Widersprüche, Fehler, Versäumnisse, Konsequenzen. Der Ausstellung vorzuwerfen, daß dies und jenes fehle oder falsch dargestellt sei, macht keinerlei Sinn. Sie, beziehungsweise dieses Museum, ist selbst Museumsstück, ein Exponat, an dem nicht gerührt werden darf, weil nur an seiner „Mangelhaftigkeit“ etwas deutlich wird. Natürlich wird das Museum so nicht weiterbestehen bleiben. Die Experten haben sich bereits darüber hergemacht.

1. Experte (Westdeutscher)

Den neusten Stand weiß ich auch nicht so genau... es gibt nach wie vor diese Arbeitsgruppe aus westdeutschen Museumsleuten, Historikern, Sachverständigen, also fünf Leute auf der Westseite und auf der anderen Seite, aus der Sowjetunion oder GUS, da sind es fünf oder sechs Leute, aus Museen, dem militärhistorischen Bereich, der Armee. Die wollten natürlich anfangs alles so belassen wie es ist, allmählich wird ihnen das aber selbst unheimlich. Heute sind sie sogar für die Beratung dankbar. Und wir tragen die ganzen Kosten: Reise, Tagungsgelder und so weiter.

Die haben zusammen eine Konzeption abgestimmt, danach soll die Gedenkstätte als solche erst mal erhalten werden, der Raum der Kapitulation soll soweit rekonstruiert werden, wie er mal war und in den Nebenräumen soll dann eine Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg sein, aber eben nicht nur bezogen auf den „Großen Vaterländischen Krieg“ der SU, sondern eben auch im Hinblick auf die anderen Alliierten. Soviel ich weiß, soll der 8.Mai dann der Schlußpunkt sein. Man überlegt noch, ob man bis zur Gründung der DDR geht, weil ja Grotewohl in Karlshorst seine Ernennungsurkunde entgegennahm, da wird es wohl ein kleines Nachwort geben.

Wer für das Museum zuständig sein wird nach 94, also nach dem Abzug der Truppen, das steht noch nicht fest. Jedenfalls wird es übergeben, renoviert und mit neuer Ausstellungsdidaktik versehen. Da sind sicher einige Millionen nötig, um das Haus technisch flott zu machen und so attraktiv, daß es auch für Berlinbesucher zu einer Adresse wird. Dazu kommt noch, daß 1995 der 50.Jahrestag der Kapitulation ist. Das Museum, wie es jetzt ist, ist ein reines Traditionsmuseum der Roten Armee — es ist ja fast alles nur russisch beschriftet — da fehlen natürlich viele Aspekte völlig. Das kann so nicht bleiben, man muß beispielsweise auch an die Gesamtkapitulation in Reims am 7.Mai denken, die, weil sie früher war, sozusagen die Originalkapitulation der Deutschen Wehrmacht war, und Karlshorst das ja quasi nur nochmal nachvollzogen hat. Na, bei solchen Themen gibt's schon Berührungsängste, Differenzen darüber, wer hat's weshalb zuerst gemacht, wer war wichtiger, was war wichtiger...

Wenn sich dieses Haus demnächst im Konzert der Museen behaupten soll, soweit draußen wie es nun mal liegt, dann muß man schon mal ein paar Jahre weiterdenken... aber eines wird wohl erhalten beiben, der spektakelhafte Raum mit Panorama und Musik, als Beispiel dafür, wie Karlshorst mal auf Stimmung hin angelegt war.

2. Experte (Ostdeutscher, Russisch sprechend)

Das Gebäude, mh... das kann ich gar nicht genau sagen, aber es wird sowas um 1938 herum erbaut worden sein. Vor 45 Jahren waren diese Kasernen, in denen jetzt noch die Russen sind, Kasernen der Wehrmacht. Und im Museumsgebäude befand sich das Offizierskasino der Pionierschule 1, das war so eine Art technisch-militärischer Dienst, der die Aufgabe hatte, Straßen zu verminen, Brücken zu bauen — oder auch zu sprengen. In den Kasernen wurden jedenfalls -zig tausend Mann ausgebildet.

1945 wurden die Gebäude gleich von der Roten Armee in Besitz genommen, reibungslos, es hat in diesem Gebiet kaum Straßenkämpfe gegeben. Die Tatsache, daß dieses Gebäude für den Kapitulationsakt gewählt wurde, hing damit zusammen, daß es eines der wenigen gut zu sichernden und vollkommen intakten Gebäude mit einem repräsentativen Saal war. Bis 47 saß der russische Stadtkommandant drin und 1967, zum 50.Jahrestag der Oktoberrevolution, hat man das Museum eröffnet.

Was nun die Zukunft betrifft, so hat die Expertenkommission eine Konzeption erarbeitet und beschlossen, die sieht vor, erst mal wieder eine Ausstellung zu machen, zu der man dann auch die schon vorhandenen Exponate nutzt — einen Teil jedenfalls — aber das Ganze soll doch insgesamt etwas erweitert werden. Es soll kein reines Militärmuseum bleiben, sondern die deutsch- sowjetischen Beziehungen als solche darstellen. Das soll dann etwa so von 1917 bis in die achtziger Jahre hineingehen. Und der Saal vor allem sollte ja originalgetreu wieder hergestellt werden, bis auf die Marmorplatten selbstverständlich. Aber die Stühle beispielsweise... es gibt ein Archiv in Karlshorst, in dem die handschriftlichen Aufzeichnungen der Teilnehmer liegen, da habe ich einen Brief gefunden, in dem ganz genau beschrieben wird, wie die Stühle aussahen, die damals drin standen. Solche Dinge kann man ja beschaffen oder rekonstruieren.

Es gibt ja noch ein weiteres Museum, innerhalb der Kaserne, das ist eines dieser Garnisonsmuseen, wie es sie in jeder sowjetischen Einheit gibt. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den sogenannten „Kampfweg“ der jeweiligen Einheit darzustellen. Dieses hier ist ja 1943 gegründet worden, und da werden die Stationen gezeigt, die für sie von entscheidender Bedeutung waren. In diesem Falle also konkret, daß sie zuständig gewesen ist für die Wache am Ehrenmal im Tiergarten und im Gefängnis in Spandau...

Aber das muß man eben wissen und verstehen, daß in der SU natürlich der Zweite Weltkrieg noch allzeit gegenwärtig ist... Die Beziehung dazu ist eine ganz andere als hier, darauf muß man sich einfach einstellen und Rücksicht nehmen.

Expertin (ostdeutsch), aus einer anderen Dienststelle

Das ist ja ein ganzes Viertel in Karlshorst gewesen, das Rheinviertel. Die gingen ineinander über, das Rheinviertel und das Wagnerviertel. Da gehört der Schmenkel gar nicht rein, einmal ganz abgesehen davon, daß er sowieso eine umstrittene Persönlichkeit ist. Er war ja Kundschafter und soll womöglich eine Doppelfunktion gehabt haben, beweisen kann man das zwar nicht, es fehlen die Unterlagen, und die Russen geben nicht raus, was sie haben. Er gehörte zur Wehrmacht und ist zu den Partisanen übergelaufen. Seine Partisaneneinheit heißt, gaube ich, „Tod dem Faschismus“, es gibt auch ein Buch über Schmenkel, Kampf dem Sternenlauf... jedenfalls diese Partisaneneinheit, das war ein reines Todesbataillon, ein Mordbataillon im Grunde, und genaugenommen waren das genau solche Mörder wie die Faschisten selber. Es ist schon gut so, daß die Straße wieder Rheinsteinstraße heißt.

Und die Gedenkstätte soll auch umgestaltet werden. Da wurden sie ja alle durchgeschleust zu DDR-Zeiten, die ganzen Jugendweihegruppen. Das zieht einem die Schuhe aus, wie das da drin aussieht. Irgendwie fühlte man sich als Deutscher gedemütigt, keinerlei deutsche Aufschriften. Da haben uns die Russen gezeigt, wer die Siegermacht ist. Aber dort ist ja immer noch alles beim Alten. In den ganzen Villen rundum sitzt der KGB, keine drei Minuten vom Museum wohnt unser letzter Armeegeneral, wie hieß er doch gleich... es fällt mir nicht ein...

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