: Multikultur — ein Begriff wie nasse Seife
Europäische Kultur- und Politikprominenz diskutierte drei Tage lang über „kulturelle Vielfalt“/ Die Spannungen in Osteuropa wurden aus der Diskussion ausgeklammert/ Berlins Regierender Bürgermeister quartierte um: von West nach Ost ■ Aus Berlin Andrea Böhm
Mit dem Gebrauch des Wortes „multikulturell“ verhält es sich wie mit dem Essen von Schlagsahne: Zuviel Konsum verursacht Übelkeit. Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack und das Gefühl, nichts Richtiges im Magen zu haben. Vielleicht hatten die Veranstalter die Vorsilbe „multi“ deshalb vermieden und ihren dreitägigen Kongreß in Berlin unter das Motto „Kulturelle Vielfalt Europa“. Eingeladen war europäische Kultur- und Politikprominenz aus sechzehn Ländern — in diesem Sinne also durchaus ein multikulturelles Ereignis.
Daß auch symbolische Gesten des Respektes von Politikern in einer multikulturellen Gesellschaft wichtig sind, wurde auf der Tagung mehrfach betont. Nicht ohne Grund, denn der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, hatte kurz zuvor noch einmal die Ignoranz bundesdeutscher Politiker gegenüber diesem Thema nach Hausherrenart demonstriert: Aus der Presse mußten die Veranstalter einige Tage vor Beginn erfahren, daß Momper den Kongreß aus dem Westberliner „Haus der Kulturen der Welt“ kurzerhand hinausgeworfen und statt dessen den Bundesrat eingeladen hatte. Die über 400 TeilnehmerInnen und ReferentInnen aus sechzehn Ländern mußten nach Ost-Berlin ausweichen, in die Akademie der Künste.
Dort wurde dann nicht minder intensiv über die multikulturelle gesellschaft referiert und diskutiert, doch das Gefühl, es mit einem Stück nasser Seife zu tun zu haben, ließ sich einfach nicht austreiben. Warum man hier eigentlich ständig versuchen würde, die multikulturelle Gesellschaft zu definieren, wunderte sich Danielle Juteau, Soziologin an der Universität Montreal. Sie referierte über die Entwicklung multikultureller Politik in ihrem Heimat land, das seit zwei Jahren sogar ein Ministerium für eben diese Angelegenheiten eingerichtet hat (siehe auch Interview).
Für deutsche Geister ebenfalls (noch) unvorstellbar, ist der „Canadian Multiculturalism Act“, wonach sich jede kanadische Regierung ausdrücklich zu einer Politik des Multikulturalismus und der Gleichberechtigung aller Kanadier im ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Bereich verpflichtet.
Über politische Rahmenbedingungen einer multikulturellen Gesellschaft wurde ansonsten wenig geredet. Forderungen, wie die der Ausländerbeauftragten des Bundes, Liselotte Funcke, nach dem kommunalen Ausländerwahlrecht und einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes, blieben die Ausnahme.
Die massiven nationalistischen Spannungen in Osteuropa, auch Thema des Kongresses, wurden allenfalls benannt, aber nicht diskutiert. Statt dessen wurde viel an gegenseitige kulturelle Toleranz appelliert, mehr kultureller Austausch versprochen.
Wie aggressiv und destruktiv Kultur wirken kann, wurde nur selten auf dem Kongreß verdeutlicht. Vishnu Kare, Redakteur der 'Sunday Hindi Times of India‘, verdeutlichte in seinem Vortrag die Folgen des englischen (Kultur)-Imperialismus. Die verinnerlichte Ablehnung der eigenen Herkunft, Sprache und Kultur vieler Inder, habe mit dem Abzug der Briten nicht aufgehört, sondern eskaliere mit der aggressiven Propaganda des westlichen Lebensstils.
„Die Konsumkultur des Westens ist die schlimmste wirtschaftliche, soziale aber auch kulturelle Bedrohung für die Entwicklungsländer“, erklärte er und prophezeite dem europäischen Haus zugleich einen massiven Zustrom der Armen aus dem Süden. Das Konfliktpotential, so Kare, ist in jedem Fall vorprogrammiert, denn die Identität der Menschen in den Entwicklungsländern sei geprägt von Selbsthaß und Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem reichen Westen.
Ein bißchen Nähe zur deutschen Realität versuchte Daniel Cohn-Bendit, Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, herzustellen, dem der seelige Gesichtsausdruck vieler beim Stichwort „multikulturell“ schon seit langem zuwider ist. „Multikulturelle Gesellschaften sind immer auch eine soziale Katastrophe“, verkündete er vor versammeltem Publikum und rügte einmal mehr das Denk- und Diskutierverbot in der Linken, die sich um diese Probleme immer wieder herumdrücke. „Und weil wir keinen ehrlichen Diskurs führen, setzen wir uns auch nicht durch in dieser Gesellschaft.“ Eigentlich war er eingeladen, um die Arbeitsgruppe „Planmodell einer multikulturellen Stadt“ mitzugestalten, und so manche/r ZuhörerIn erhoffte sich, Richtungsweisendes aus dem Frankfurter Dezernat zu hören. „Potentiell haben wir mehr Möglichkeiten als die Ausländerbeauftragten“, sagte Cohn-Bendit, „weil wir die anderen Ämter koordinieren und zusammenholen können.“ Eine Pädagogik der Vermittlung könne sein Amt entwickeln. Die Ursachen der „sozialen Katastrophen“ in einer multikulturellen Gesellschaft zu beheben, sei letztlich „eine Frage des Geldes“ und des politischen Willens, in die ökonomische und politische Chancengleichheit zu investieren. Und von denen, die über das Geld zu entscheiden haben, war leider niemand eingeladen.
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