: Mütterliche Männer
■ Männer wollen weich sein, weil sie es immer schon waren. Frauen aber wollen das Monopol auf Empfindsamkeit wahren
Sein liebster Platz war immer die kleine Waschküche. Doch wir erinnern uns an ihn als grob und laut. Er konnte auch zuschlagen. Er hat seine Gefühle nie im Zaum halten können. Hat geschrien, wenn mal wieder etwas seiner Kontrolle entglitt. Vor allem, als sein erstes Kind volljährig wurde, war er kaum zu ertragen. Da war er selbst nachts um drei noch wach, wenn es – stotternd darauf beharrend, doch jetzt erwachsen zu sein – halbtrunken nach Hause kam. Er war es, der sich um unser Fieber kümmerte, der Pflaster klebte und Wadenwickel legte. Er kochte. Am liebsten Gerichte, die seine Mutter ihm nie bereitete, Hausmannskost sozusagen, mit feiner Hand zubereitet.
Die Kost war wie er selbst: derb und kräftig. Ein Kerl zum Sattwerden, eine hoffnungslose Mischung aus Gefühl und Sorge. In einer ehrlichen Minute hat er mal gesagt, nie bringe man ihm Blumen mit. Danach hat er ein bißchen geweint, wie jemand, der eigentlich keine Tränen haben sollte. Sein ältester Sohn hat ihm mal gesagt, ihn nie lieben zu können. Das war gelogen, aber der Vater hat es geglaubt. Es muß ihm weh getan haben. Doch er verrät seine Kinder nicht. Höchstens manchmal, wenn er meint, daß sie seine Erfahrungen brauchen, um sich durchs Leben zu schlagen. Immer wußte er, wo sie sich aufhalten. Ob sie Kummer haben. Oder ihn brauchen. Er hätte gerne mal gehört, ja, wir brauchen dich. Wir wissen, du paßt auf uns auf. Darauf wird er warten müssen.
Sie führen inzwischen ihr eigenes Leben. Und sie mögen ihn auch jetzt nur aus der Distanz. Für sie ist er ein Klotz. Einer, der alt wird. Einer, der Mitgefühl verdient hätte und nur Fürsorge bekommt. Sie sehen nicht, daß er noch immer wie für eine Großfamilie einkauft. Kommen sie ihn besuchen, freut er sich sehr. Dann hat er Schokoladenpudding gekocht. Vielleicht kommen sie sich wieder näher. Dann könnte er als das erkannt werden, was er eigentlich in der Familie immer zuerst war: die Mutter.
Die Geschichte eines Vaters. Meines Vaters. Selbst wenn sie ein Einzelfall wäre – was sie wahrlich nicht ist –, erschüttert sie doch einen der ehernen Glaubenssätze fast aller Feministinnen: Männer sorgen sich nicht. Männer sind hart und grob. Vor allem von ihnen geht Gewalt aus. Frauen hingegen gehören zur empfindsameren Sorte Mensch.
Diese Sicht spiegelt sich in fast allen schriftlichen oder mündlichen Beiträgen wider, die aus der Frauenbewegung kommen. Der Kitsch, der in diesem Zusammenhang kultiviert wird, hat Alexander Schuller im November-Heft des Merkur zusammengetragen. Der an der Freien Universität Berlin arbeitende Professor für Historische Anthropologie hat all die verlogene Poesie zusammengetragen, die über Männer verfaßt wird. Daß sie qua Geschlecht Vergewaltiger sind und Kinder mißbrauchen; daß sie es sind, die für das Böse an sich einstehen müssen.
Kein Wunder, daß keine Figur eine solch schlechte Presse hat wie der Mann an und für sich. Mindestens seit Mitte der siebziger Jahre – wohl nicht zufällig etwa seit Gründung der Zeitschrift Emma – steht er unter besonderem Rechtfertigungszwang. Doch es wird immer nur die halbe Wahrheit erzählt. Zunächst läßt sich, darauf hat schon Kaspar Maase in seiner Studie BRAVO Amerika hingewiesen, festhalten, daß seit Ende des Nationalsozialismus Männergenerationen herangewachsen sind, die sich nicht mehr mit der soldatischen Figur identifizieren wollen. Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie ein Windhund – dieses eiserne und vor allem in Deutschland gängige Erziehungsprinzip hat erst den Typus von Mitläufern und Untertanen hervorgebracht.
Dieses Modell, würde es heute jemand propagieren, wäre Gott sei Dank der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch Männer wollen weich sein – weil sie es auch schon immer waren. Herbert Grönemeyers Schlager „Männer“, der vor zehn Jahren auf selbstironische Weise versuchte, den harten Macker zum ausgelaufenen Modell zu erklären, war in diesem Sinne auch ein locker formulierter Hilfeschrei.
Wohl gehört es zu den größten Verdiensten des Feminismus, der menschlichen Subjektivität wieder zu diskursfähigem Rang verholfen zu haben. Allein: Daß die Geschlechterverhältnisse manchen Frauen immer noch betoniert wie eh und je vorkommen, liegt weniger an den Männern, sondern vor allem an den Frauen selbst.
Sie hassen Softies. Und Männer überhaupt. Sie mögen ihre Stärke nicht, aber ihre schwachen Seiten ebensowenig. Und: Zu jedem Macho gehört, zumindest in unserem Kulturkreis, eine Frau, die sich solch einen Kerl leistet. Sie mögen nicht, wenn ein Mann Gefühle zeigt, die ihn als Hilflosen zeigen. Das finden sie peinlich. Die Ambivalenz zwischen Stärke und Schwäche, der sich Männer mittlerweile auszusetzen haben, wird von Frauen nur selten ertragen.
Sie selbst sehen sich im Zweifelsfall als Opfer und möchten sich der Zwiespältigkeit nicht stellen, selbst auch stark sein zu müssen. Viele mögen gerade die heroische Karikatur des Mannes in Frauenkleidern nicht: Die Tunte sei eine besonders infame Figur, weil sie Frauen verspottet, stand nicht nur in der taz zu lesen. Dabei zeigt sie öffentlich, wie ein (schwuler) Mann spielerisch mit seiner eigenen Zerrissenheit umgeht.
Auch Alexander Schullers Hinweis, daß Männer im ethnologischen Vergleich diejenigen sind, die sexuell Abwechslung brauchen und deshalb flüchtigen Abenteuern nie abgeneigt sind, trifft die Wirklichkeit nur halb. Auch die These, daß Frauen die Intimität schätzen und dafür den Sex in Kauf nehmen, gehört zu den gleichen Legenden, die im Zusammenhang mit der modernen Geschlechterfrage gerne erzählt wird.
Psychologen können Stunden darüber berichten, daß Männer in der Tat oft Angst haben vor symbiotischen Verhältnissen, also vor Intimität, die länger hält als ein Viertelstundenfick. Frauen verweigern ihnen die Chance, sich nicht als Versager fühlen zu müssen, wenn sie mehr Hingabe zu üben bereit sind. Und das tun Frauen, weil es ihnen bequem ist. Sonst wäre ihr Monopol auf die bessere Moral in Gefahr.
Die Geschichte vom Vater, der sich seiner weiblichen Anteile wegen immer auch ein wenig schämte, muß ergänzt werden. Seine Frau entzog sich seinem Begehren regelmäßig. Das war ihre schärfste Waffe. Denn im Grunde mochte sie ihr Leben nicht. Wahrscheinlich wollte sie keine Kinder. Warum sie nicht nein gesagt hat? Lag es an den fünfziger Jahren, als Frauen mit 23 Jahren schon späte Mädchen waren? Er wollte es nie herausfinden. Jan Feddersen
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