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■ München und das DemonstrationsrechtMehr Straftaten bei Oktoberfesten

betr.: „München fürchtet Entglasung“, taz vom 2. 2. 02, „792 Demonstranten in Polizeigewahrsam“, „Pfefferspray und ‚bayerische Linie‘“ u. a., taz vom 4. 2. 02

Die erstmaligen Verbote aller öffentlichen kritischen Meinungsäußerungen zur Münchner Sicherheitskonferenz werfen die Frage auf, wie Oberbürgermeister Ude zukünftig mit den Oktoberfesten umgehen möchte. Da fallen jedes Jahr mehr Straftaten und Ordnungswidrigkeiten an, als die ach so gewaltbereiten Demonstranten in München verüben konnten, obwohl sie nach Kräften durch die Polizei und die Politik provoziert wurden.

Es ist ihnen nicht erlaubt worden, an einem gemeinsam mit der Stadt ausgewählten Platz ihre politische Meinung zu demonstrieren – zu sagen, was ihnen wichtig ist. Dort wäre alles viel überschaubarer und kontrollierbarer gewesen. […] Herr Ude wollte aus wahltaktischen Gründen anscheinend die Provokation und hat München in ein sehr schlechtes Licht gesetzt. Er hat als „Bürgerrechtsanwalt“ wohl vergessen, dass das Demonstrationsrecht eines der wichtigsten Bürgerrechte ist. […]

BERND HAAK, München

Als geborene Münchnerin hat mich das Demonstrationsverbot maßlos geärgert, es war so, als ob Papi für seine dummen Kinder eine Entscheidung trifft, indem er den Verbotshammer fallen lässt. Noch schlimmer war aber Ton und Wortwahl des Herrn Oberbürgermeisters Ude, denn damit entlarvte er seine Sehnsucht nach Recht und Ordnung ohne Rücksicht auf Verluste. Und er offenbarte seine Angst vor Macht- oder Kontrollverlust, nicht seine Angst um die Bürger und deren Schaufenster. (Jedes Oktoberfest verursacht zahllose Schäden, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.)

Demokratie ist gefährlich, Freiheit birgt Gefahr, auch die Freiheit der Bürger, auf die Straße zu gehen, kann eventuell einiges an Sachbeschädigung nach sich ziehen. Eine tatsächlich tragische Beschädigung ist aber erst durch die Entmündigung der Bürger und Bürgerinnen und der angereisten Gäste passiert. Entmündigung provoziert Widerstand, der bis zum Schreckgespenst Terrorismus führen kann. Das sollte ein guter Vater wissen, wenn er solche Verbote ausspricht. Und die Zivilcourage besitzen, seinen Stadtkindern von vorneherein mehr zuzutrauen als vielleicht sich selber. ANGELIKA MARIA STIEGLER, München

Es ist schon interessant, angekündigtes Szenario und die Realität der Münchner Sicherheitskonferenzam Wochenende miteinander zu vergleichen. In düsteren Bildern malten OB Chistian Ude und KVR-Chef Blume-Beyerle das Horrorszenario der Angriffe von 2.500 bis 3.000 gewalttätigen Demonstranten auf die Münchner Innenstadt an die Wand, so dass man den Eindruck gewinnen konnte, ein europäischer Ableger der al-Qaida rücke auf München vor. Selbst die Polizei behauptete, sie könne mit ihren 3.500 Beamten die 3.000 bis 5.000 Demonstranten nicht unter Kontrolle halten.

Beobachtete man die Szenen vom Wochenende, so rieb man sich verwundert die Augen. Mehrere tausend Menschen versammelten sich trotz Verbots friedlich in München. Es kam zu keinerlei Ausschreitungen, Sachbeschädigungen blieben aus und die Münchner Innenstadt war von nichts weiter entfernt als von einer Entglasung. Von den angekündigten 2.500 bis 3.000 gewalttätigen Autonomen keine Spur, stattdessen eine Ansammlung verschiedenster Menschen, die ihre Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit friedlich verteidigten, zwei Rechte, die nicht nur Verfassungsrang haben, sondern auch zu den grundlegendsten Menschenrechten gehören und sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte niedergelegt sind.

Ude und Blume-Beyerle hätten nach der ersten illegalen Kundgebung am Freitag ihren Fehler noch einsehen, das Verbot aufheben und die Demonstration am Samstag genehmigen können. Stattdessen profilierten sie sich als Hardliner und bestanden auf der Verweigerung dieser Menschenrechte. Die Polizei verhaftete deshalb über zehn Prozent aller Protestierenden, die letzten von ihnen, als sie auf ihrem Weg zu einer genehmigten Veranstaltung im Gewerkschaftshaus eingekesselt wurden, und setzte dabei auch massive Gewalt ein, wie Focus TV am Sonntagabend zeigte. Ein solches Verhalten ist eines sich selbst als demokratisch verstehenden Staates nicht würdig, und wahrscheinlich werden die Verantwortlichen dafür noch abgewatscht werden, und zwar nicht von gewalttätigen Demonstranten, sondern von den obersten Verteidigern der Demokratie, den Richtern des Bundesverfassungsgerichtes.

Wer wie OB, KVR, Polizei und Verfassungsschutz ein Lügengebäude aufbaut, um Menschen dieses Landes daran zu hindern, ihre Meinung kundzutun und die Kriegspolitik der reichsten Länder dieser Welt zu verurteilen, hat eine ordentliche Niederlage in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verdient. Wer sich die Wahrheit so zurechtbiegt, verstößt gegen die Verfassung und hat jegliches Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit der Mittel verloren. ALEXANDER THAL, Gauting

Wenn 3.000 Gewalttäter anreisen, so gäbe es (mindestens) drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: 1. Verbot der Sicherheitskonferenz, 2. Verbot der Demonstrationen, 3. Verbot der Gewalttäter.

Die Möglichkeit 3 hätte den interessanten Nebeneffekt, dass sowohl die Sicherheitskonferenz wie auch die Demonstrationen pflichtgemäß geschützt würden. Wer sich eine Sicherheitskonferenz leisten und das Demonstrationsrecht nicht abschaffen will, hat sich für die nächste Sicherheitskonferenz auf 3 vorzubereiten. Das wäre logisch, denn die Sicherheitskonferenz verlöre ihre Berechtigung, wenn durch sie Rechte verschwänden, die die von der Nato gesicherten Demokratien schützen sollten. […]

GÖTZ KLUGE, Tokio, Japan

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