piwik no script img

Müllmenschen in MonschauZeitgeist in der Kleinstadt

Einst erlebte das an der belgischen Grenze gelegene Monschau einen Kulturschock, heute ist die Stadt stolz darauf. Das zeigt sie mit Müll.

Früher eine Provokation, heute eine Image-Kampagne. Bild: Pascal Beucker

MONSCHAU taz | Da stehen sie vor pittoresker Fachwerkhauskulisse, diese Figuren aus Müll, mitten auf dem Marktplatz von Monschau. Sie sind lebensgroß, farbig, verbeult und an manchen Stellen verrostet.

„Trash People“ nennt der Aktionskünstler HA Schult seine „Müllmenschen“ und durchstreift wohlgelaunt deren Reihen. Bevor sie nach Monschau kamen, standen sie auf dem Roten Platz in Moskau, auf Chinas Großer Mauer und vor den Pyramiden von Gizeh, sie weilten in Rom, Paris und gerade erst in Barcelona.

Nun also Monschau – beschaulich, verschlafen, ein Ort in der Eifel unweit der belgischen Grenze. Für den 74-jährigen Künstler ist es eine Rückkehr. Hier begann seine internationale Karriere. Er müsse sich, sagt er, „ganz herzlich dafür bedanken, dass die Leute in Monschau zu meiner Überraschung so nett geworden sind“. Dabei habe er sie doch „damals so schlecht behandelt“.

Damals, im Sommer 1970. Damals war der kleine malerische Flecken für ein paar Tage Avantgarde – und wollte es doch nicht sein.

Schrilles Spektakel von der Polizei beendet

taz.am wochenende

Ein afrikanischer Flüchtling wagt erneut die gefährliche Überfahrt von Marokko nach Spanien. Dieses Mal will er es professioneller angehen. Ob er so die Angst und das Risiko überwinden kann, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Oktober 2013. Außerdem: Wird man da irre? Ein Schriftsteller über seinen freiwilligen Aufenthalt in der Psychiatrie. Und: Vater und Sohn – Peter Brandt über Willy Brandt, den Kanzler-Vater. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Denn ausgerechnet in der westlichen Eifel, wo es niemand erwartete, verließen Künstler und Künstlerinnen mit ihren Werken die Galerien und Museen und wagten die direkte Begegnung mit der Bevölkerung. „Umwelt-Akzente“ hieß das Spektakel, das heute als die erste große Straßenkunstaktion der Welt gilt – farbig, schrill und laut.

Da war etwa die in rosa Schaumstoff gekleidete Fassade des Marktcafés – eine Arbeit von Ferdinand Spindel, und die blau gefärbten Bäume von Wolf Kahlen. Da waren die von riesigen Ballons versperrten Gassen – Erwin Wortelkamp hatte es sich ausgedacht, die „Fußgänger-Fanganlage“ von Hingstmartin oder die nach einem Entwurf von Günther Uecker weiß gestrichene Straße, die Rune Mields umsetzte.

Mittendrin fuhr der damals 30-jährige HA Schult mit einem Auto durch die historische Altstadt und nervte über Lautsprecher die Menschen in der Stadt. Die Polizei beendete seine Provo-Aktion.

Die Organisatoren Kaspar Vallot und Klaus Honnef vom kurz zuvor gegründeten Kunstkreis Monschau hätten damals, meint Schult grinsend, „so ein paar Irre hierhergeholt, von denen einige überlebt haben, einige sind weggenippelt“. Einer der Irren war er.

39 Künstlerinnen und Künstler beteiligten sich 1970 an der Open-Air-Schau. Viele von ihnen, etwa Klaus Rinke, Timm Ullrichs oder Lawrence Weiner, zählen heute zu den bekanntesten Vertretern der Gegenwartskunst. „Nicht in Paris, nicht in London, nein, in Monschau fand die erste öffentliche Straßenkunstaktion statt“, sagt Schult.

Junge Wilde schockten die Leute

In der Kleinstadt allerdings kam das Kunstspektakel nicht so gut an. Die Leute waren fassungslos, reagierten mit Schock auf die Provokationen der jungen Wilden und mit Abwehr, weil ihre überschaubare Welt plötzlich in Unordnung gebracht worden war. „Was Kunst ist, das weiß ich nicht; aber dass das keine Kunst ist, weiß ich“, empörte sich der Kreisbrandmeister. Und der Pfarrer fragte besorgt: „Hat Monschau seinen Ausverkauf des Geistes?“ Es hagelte Anzeigen wegen angeblicher Belästigungen. Und es gab noch drastischere Reaktionen: So protestierte ein „Umwelt-Akzente“-Gegner mit einer Fäkalien-Aktion gegen den Frevel und lagerte seinen Stuhlgang in einem der Kunstexponate ab.

„Damals herrschte eine aufgeladene Stimmung“, erinnert sich der Kurator Klaus Honnef. „Der Unmut stieg wie der Pegel der Rur.“ Rur – das Flüsschen in Monschau. Jugendliche Hitzköpfe zerstörten oder beschädigten zahlreiche der im Stadtgebiet aufgestellten Werke. „Heute weiß ich, dass sie von honorigen Bürgern mit Bierkästen als Lohn dazu ermuntert wurden“, sagt der inzwischen 85-jährige Kaspar Vallot.

Die „Umwelt-Akzente“ blieben ein einmaliges Ereignis. Einen solchen Eklat wollten die Stadtoberen nicht noch einmal riskieren. Dabei war die Kunstaktion ökonomisch gesehen ein Schnäppchen: Der Etat, den Stadt, Kreis und Land seinerzeit zur Verfügung stellten, betrug 20.000 D-Mark. Davon könnte man sich heute höchstens einen einzigen von HA Schults „Trash People“ leisten. Etwa 400 D-Mark wurde jedem Künstler, jeder Künstlerin für Material zur Verfügung gestellt, damit die Werke überhaupt realisiert werden konnten. Ein Honorar bekamen sie nicht.

Moschau ist konservativ

„Uns hat damals der Weitblick gefehlt“, sagt Margareta Ritter, die heutige Bürgermeisterin von Monschau. Seit 2009 steht die Christdemokratin dem in einem Talkessel gelegenen Städtchen vor, dessen Haupteinnahmequelle der Tourismus ist. Sie ist die erste Frau in diesem Amt.

12.960 Menschen leben in Monschau. Die meisten wählten schon immer konservativ – und tun es auch heute. Wie ihre Vorgänger kann Ritter im Stadtrat auf eine absolute CDU-Mehrheit bauen. Dass sich jedoch auch das Konservative modernisieren muss, ist ihr klar. Sehr genau registriert sie gesellschaftliche Veränderungen.

So ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Monschauer Unternehmer mittlerweile ein Grüner, und zwar deren Ratsfraktionsvorsitzender. Sie hätten ein gutes Verhältnis, sagt Ritter. Im Rat gibt es eine freiwillige Kooperation zwischen CDU und Grünen. Auch sonst hat Ritter keine Berührungsängste: Mit Monschaus Bloggerin von der Piratenpartei ist „Magga“ per du.

„Monschau braucht Kritik, Begeisterung und Diskussion“, sagt die Bürgermeisterin. Die Stadt profitiere zwar immer noch von ihrer Fachwerkhausidylle, aber um überlebensfähig zu sein, reiche das nicht. Monschau als weltoffene Stadt – das sei eine „herausfordernde Perspektive“. Dazu gehört die positive Rückbesinnung auf jene Kunstaktion von vor über 40 Jahren.

Deswegen stehen jetzt die 200 „Trash People“ auf dem Marktplatz, wo Leute sonst Kaffee trinken, Kuchen essen. „Diese Kunstaktion ist ganz wichtig für uns“, sagt Ritter. Monschau sei ansonsten „so klischeebelastet“.

Müll als Lebensthema

Flankiert wird der Auftritt der Blechbüchsenarmee von einer Werkschau des Künstlers im wenige Meter entfernten Aukloster. Im Hof können Besucher den „Kölner Autodom“ bewundern, eine den Kölner Dom persiflierende Skulptur aus Autoteilen.

HA Schult gehört zu den letzten großen Umweltkünstlern der Gegenwart, er steht in einer Reihe mit den verstorbenen Meistern Josef Beuys und Friedrich Hundertwasser.

Schults Lebensthema ist der Müll. So hat er Opernsänger auf Müllkippen singen lassen, Tonnen von Altpapier in Innenstädte geschüttet und aus Abfällen Figuren geformt – die „Trash People“. Bei den lebensgroßen Figuren aus Konsummüll und Montageschaum handele es sich um „eine vorweggenommene Archäologie, so wie die Terrakotta-Armee von Xi’an“. Gleichzeitig seien sie Ebenbilder ihrer Betrachter: „Wir produzieren Müll, wir werden zu Müll“, sagt Schult.

Das Material für die „Trash People“ hat er Mitte der 1990er Jahre übrigens bei dem damaligen niederrheinischen Müllmogul Trienekens gekauft. „80.000 Mark habe ich dafür bezahlt“, sagt Schult. Für den Klebstoff allerdings zahlte er mehr als das Dreifache.

Vor vier Jahrzehnten war HA Schults Auftritt in Monschau noch eine Provokation. Heute freut sich die Stadt über die Imagewerbung. „Monschau ist noch nie so bunt gewesen“, sagt Ritter, die Stadtoberste. Schult wiederum bedankt sich artig bei ihr „für die Gastfreundschaft“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!