piwik no script img

Müllentsorgung im WestjordanlandEine stinkende Zeitbombe

Wilde Müllkippen im Westjordanland belasten Wasser und Luft. Für den Bau einer zentralen Deponie im dünn besiedelten Gebiet ist die Zustimmung Israels notwendig.

Kinder beim Müllsammeln: Recycling geschieht im Westjordanland aus purer Armut. Bild: dpa

RAMALLAH taz | Im Zehn-Minuten-Takt quälen sich die schwer beladenen Müllwagen auf die Deponie in Ramallah im Westjordanland. Ihre Räder sinken, je höher sie auf den Berg rollen, abenteuerlich tief in den weichen Boden. Bauschutt und Geröll überdecken den seit Jahrzehnten wachsenden Abfallhaufen. Die Zipfel von Plastiktüten lugen darunter hervor.

"Ein einziger heftiger Regen könnte hier alles zum Zusammensturz bringen", sagt Reem Khalil, Projektleiterin beim JCS (Joint Service Council), dem Abfallzweckverband Ramallah. "Dann würde die gesamte Gegend mit Müll überschwemmt werden."

Ramallah hat laut Schätzungen etwa 60.000 Einwohner. 67 Tonnen Verpackungsmaterial, Nahrungsmittelreste, kaputte Möbel, Stoffe, Plastik werden täglich unverarbeitet und ohne jede Isolation, die eine Verseuchung des Grundwassers verhindern könnte, auf der wilden Deponie entsorgt. Die Abfallhalde, die willkürlich auf einem privatem Grundstück inmitten eines Industriegebiets entstand, ist eine stinkende Zeitbombe.

Allein im Verwaltungsbezirk von Ramallah und Umgebung gibt es noch 70 weitere wilde Müllhalden. Mithilfe des Deutschen Entwicklungsdienstes plant der Abfallzweckverband eine erste zentrale sanitäre Abfalldeponie, die alle anderen Kippen ersetzen würde.

Der Mangel an Ressourcen und staatlichen Institutionen und wie immer auch die israelische Besatzung sind schuld an der Misere. Für die Alternative, eine außerhalb der Wohngegenden liegende Deponie anzulegen, sind die Palästinenser auf die Zusammenarbeit mit Israel angewiesen. Die sogenannten C-Zonen, Regionen, die dünn oder gar nicht besiedelt sind, unterliegen bis heute der Kontrolle der Besatzungsmacht.

"Israel verzögert Genehmigungen und schreibt uns vor, welche Zufahrtstraßen wir nutzen dürfen", schimpft die 29-jährige Projektleiterin Reem Khalil, die frühestens im kommenden Jahr mit einer Fertigstellung der zentralen Deponie rechnet. Die vorgesehene Strecke für die Müllwagen sei "viermal so lang wie nötig, denn direktere Straßen dürfen nur von jüdischen Siedlern befahren werden".

Doch auch die Palästinenser sind nicht schuldlos an der unnötigen Verseuchung von Wasser und Luft. "Natürlich gibt es Gesetze im Bereich der Müllentsorgung", sagt Khalil, "nur die Umsetzung und die Verfolgung von Straftätern sind oft nicht möglich". Die Anarchie im Abfallbereich lässt die Palästinenser in ländlichen Gegenden oft aus Mangel an Alternativen ihren Müll auf offener Straße verbrennen. Darauf steht Bußgeld, das jedoch so gut wie nie kassiert wird.

Beim Abfallzweckverband hofft man auf eine Privatisierung des Sektors. "Private Unternehmen verfügen über größere finanzielle Möglichkeiten", sagt Khalil. Außerdem würde ein Unternehmen, das auf Profit aus ist, "strenger bei der Gebühreneintreibung" gegenüber den Verbrauchern auftreten. Es seien dringend stärkere Kontrollen nötig, "vom Einsammeln bis zur Endlagerung" der Abfälle.

Khalil ist studierte Pädagogin mit Fachwissen in Umweltfragen. Sie geht zwar heute schon regelmäßig in die Schulen und leitet Workshops, um den Kindern ein größeres Umweltbewusstsein nahezulegen, doch sehr weit kann sie damit nicht kommen, denn bislang werden keine Container für die separate Entsorgung von Papier, Glas oder Plastik aufgestellt.

Recycling bleibt damit für die meisten ein Fremdwort. Wiederverwertet wird im Westjordanland nur aus Gründen der Armut. Dann klettern Arbeitslose und Jugendliche auf die Müllberge, um Metalle und Eisen zu sammeln oder nach anderen Dingen zu suchen, die noch irgendwie verwertbar sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!