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Motorrad statt Flieger Ich, der Weltretter​

Arno Franks bester Freund feiert seine Geburtstage an der Adria. Als ökologisch bewusster Partygast entschied er sich bei der Anreise gegen das Flugzeug.

Symbolbild: Weder sehen Sie hier den Autor auf seinem „Bock“, noch die klimabedingte Apokalypse Foto von Domino auf Unsplash.com

taz FUTURZWEI | Mein bester Freund pflegt seine Geburtstage in einer Villa am Strand der Adria zu feiern. Das Haus ist eigentlich ein winziges Dörfchen in extrem abgelegener Gegend, es liegt auf einem felsigen Sporn im Meer, erreichbar zuletzt nur über ein bizarres Wollknäuel an Serpentinen und ganz am Ende zu Fuß über Stock und Stein. In dieser paradiesischen Abgeschiedenheit könnte mein bester Freund in Ruhe einen Roman schreiben oder, ebenfalls in Ruhe, perverse Orgien feiern. Lieber lädt er seine Freunde ein. Deshalb ist er mein bester Freund.

Vergangenes Jahr hatte ich nur wenig Zeit und wollte eigentlich mit dem Zug anreisen. Aus ökologischen Erwägungen, versteht sich. Und weil ich auf Schienen sehr gut arbeiten kann. Weil mich das Fliegen stresst, ehrlich gesagt. Und weil’s, noch ehrlicher gesagt, auch irgendwie cool wäre. Aus Jux erkundigte ich mich bei der Bahn – und »staunte«, wie man so sagt, »nicht schlecht«.

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Optimistische Umsteigezeiten

Es ist tatsächlich möglich, innerhalb eines einzigen Tages von Hessen nach Apulien zu fahren. Ich müsste nur um 5.26 Uhr in Wiesbaden in den ICE 991 nach München steigen, knapp vier Stunden später dort nur 16 Minuten warten, um dann den EC 83 nach Bologna zu nehmen, wo ich nur 26 Minuten nach meiner Ankunft um 16.45 Uhr bereits den FR 8815 nach Süden nehmen könnte, den ich dann nach einer Reisezeit von insgesamt 15 Stunden und 27 Minuten erreicht haben würde. In Foggia, so heißt das da, ist es dann gerade mal 21.19 Uhr, und ich kann mir nach einem Expresso im Stehen einen Mietwagen suchen.

Mit dem Mietwagen bräuchte ich dann nochmal knapp zwei Stunden für die letzten 100 Kilometer bis zum Strand, anders geht es nicht. Um ein Auto kommt also nicht herum, wer Herumkommen will im wilden Süden. Ich hatte mich dennoch gegen diese Zugreise entschieden, weil ich erfahrungsgemäß dem Umstiegsspielraum von nur 16 Minuten in München nicht traue und keine Nacht in einem bayerischen Hotel verbringen wollte.

Reality-Check auf dem Feuerstuhl

Also nahm ich mein Motorrad, das kommt mit fünf Litern aus. Für 1.500 Kilometer würde ich ebenfalls 15 Stunden brauchen, Tankpausen nicht eingerechnet, könnte mich am Ende auf den Serpentinen vergnügen und wäre vor Ort mobil. Es ist immer irrsinnig wichtig, »vor Ort mobil« zu sein, sogar im Paradies. Außerdem ist mein Motorrad eine Italienerin, das schien mir passend. Und auch irgendwie cool, wenn auch auf altmodischere Weise als eine Bahnfahrt.

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Nach dann doch knapp 20 Stunden stumpfsinnigen Pfahlsitzens bei Dauerregen auf italienischen Autobahnen kam ich in tiefster Nacht als psychisches und physisches Wrack an – und ließ mich ausgiebig von den übrigen Gästen bemitleiden, die fast alle von Deutschland nach Neapel geflogen (zwei Stunden) und von dort mit dem Mietwagen »rübergefahren« waren an die Adria (vier Stunden).

Komplizierte Kalkulationen

Immerhin wurde mir unter beifälligem Schulterklopfen der (imaginäre) Preis der »umweltfreundlichsten Anfahrt zuteil«. Ich bezweifelte allerdings, dass mir diese Ehre zustand. Eine vierköpfige Familie war in einem Auto etwa 1.000 Kilometer von München nach Apulien gegondelt, ich hingegen hatte ganz alleine auf meinem Bock gesessen. Das müsse man, warf ich ein, ins Kalkül ziehen. Die Autofahrer dachten nach, machten dann aber zu ihrem Nachteil fairerweise geltend, dass in einem eleganten Mittelklassekombi der Marke BMW doch bedeutend mehr Rohstoffe und Energie stecken als in einem alten Moped.

Hier hätten wir nun Zettel und Stift zücken und die in beiden Fahrzeugen gebundene »graue Energie« ausrechnen können, multipliziert um den Faktor vier, den Reifenabrieb addiert, die Verbrauchswerte exakt kalkuliert, solche Sachen. Dinge jedenfalls, die noch vor zehn Jahren kein Thema gewesen wären. Wir haben die Nacht dann doch lieber dem schmackhaften Primitivo gewidmet.

Dieses Jahr bin ich dann nach Neapel geflogen und mit dem Mietwagen an die Adria gefahren. Mea culpa, mea maxima culpa. Zum Ausgleich werde ich dann im kommenden Jahr wohl wirklich die Bahn nehmen. Oder dem Geburtstag meines besten Freundes halt gleich per Videocall beiwohnen.

Dieser Beitrag ist in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es jetzt im taz Shop.