piwik no script img

Moskau macht Markt möglich

■ Per Volksabstimmung zur Marktwirtschaft / Eine Niederlage stellt die Zukunft in Frage / Nikolai Ryschkow: Entscheidung ist gefallen / Radikalreformer kündigten Mißtrauensantrag an / Präsidialrat stimmt Reformen zu

Moskau (ap/taz) - Die Regierung unter Ministerpräsident Nikolai Ryschkow hat eine grundlegende Änderung der Wirtschaftsstruktur des Landes angekündigt und zugleich ihr politisches Überleben von der Zustimmung der Bevölkerung zu ihren Plänen abhängig gemacht. Vor dem Kongreß der Volksdeputierten sagte Ryschkow gestern, der Wechsel von der zentralen Planwirtschaft zu einer „geregelten Marktwirtschaft“ sei beschlossene Sache. Sein Stellvertreter Juri Masljukow kündigte eine Volksabstimmung an und sagte, die Regierung müsse zurücktreten, wenn ihre diesbezüglichen Pläne nicht gebilligt würden.

Bei Verwirklichung der Pläne Ryschkows muß die Bevölkerung erhebliche Vorleistungen bringen. Jene umfassen die Freigabe der Preise durch den Verzicht auf Subventionen, die Einführung eines vom Staat unabhängigen Bankensystems und ein neues Steuerrecht.

Zuerst soll der staatlich bisher hoch subventionierte Brotpreis am 1. Juli auf das Doppelte steigen, und am 1. Januar 1991 sollen die Preise für andere Lebensmittel folgen. In einem zweiten Schritt sollen dann das Steuerrecht geändert und die Zinsen von den derzeit zwei Prozent einer Marktentwicklung angepaßt werden. In diese Zeit fällt auch die Umwandlung von Staatsunternehmen in Kapitalgesellschaften, von der nach Angaben des Wirtschaftsberaters von Präsident Michail Gorbatschow, Nikolai Petrakow, insgesamt 220.000 Betriebe betroffen sind.

Wenn die Regierung nach polnischem Vorbild eine Radikalkur in kürzester Zeit beschlossen hätte, wäre eine Arbeitslosigkeit von 40 Millionen zu erwarten gewesen, sagte Masljukow zur Kritik von Radikalreformern. Diese waren im letzten Jahr an Ryschkows Einspruch mit dem Vorhaben gescheitert, noch einschneidendere Maßnahmen zu ergreifen.

Das Regierungsprogramm soll jetzt vom 1. Januar 1991 an innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren verwirklicht werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen