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Morsal-ProzessVäter agieren im Hintergrund

Im Prozess um den so genannten Ehrenmord an Morsal Obeidi eskaliert der Streit um die Gutachter - jetzt steht das gesamte Verfahren auf der Kippe. Die beste Freundin des Opfers sagt nicht aus - sonst hätte ihr Vater sie in die Türkei verbannt.

Morsals Freundin sagt nicht aus: aus Angst vor ihrem Vater, der sie sonst in die Türkei verbannen will Bild: DPA

Schwere Schlappe für die Anklagebehörde in dem so genannten Ehrenmord an der 16-jährigen Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi. Auf Antrag der Verteidigung entließ das Landgericht Hamburg am Freitag den psychiatrischen Gutachter Michael Kreißig - wegen der Besorgnis der Befangenheit.

In einem Vorgutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft hatte Kreißig dem angeklagten Ahmad O. volle Schuldfähigkeit bescheinigt und dessen Angaben einen "naiven Versuch, eine Rauschtat vorzutäuschen" genannt. Forensische Theorien, die Aggressivität des 24-Jährigen könnten auf eine Wachstums-Hormonbehandlung in der Pubertät zurückzuführen sein, hatte Kreißig als "Mythos" und "per se unsinnig" bezeichnet. Ahmad O. wird vorgeworfen, seine Schwester am 15. Mai vorigen Jahres mit 23 Messerstichen getötet zu haben.

"Diese unbedachten Äußerungen lassen beim Angeklagten den Eindruck der Voreingenommenheit aufkommen", erklärte der Vorsitzende Wolfgang Backen nun. Ahmad O. müsse davon ausgehen, dass das Ergebnis des Kreißig-Gutachtens bereits vor der Hauptverhandlung feststehe. Von seinem Standpunkt aus sei der Befangenheitsantrag daher "begründet".

Die Reaktion von Staatsanwalt Boris Bochnik blieb nicht aus: Prompt holte er einen voraus formulierten, mehrseitigen Antrag aus der Tasche, in dem er seinerseits die Gutachterin Marianne Röhl wegen "Voreingenommenheit" ablehnte: Röhl war im Herbst 2008 als zweite Gutachterin vom Gericht bestellt worden - auf Antrag der Verteidigung. Laut ihrem Vorgutachten sei Ahmad O. vielleicht nur "vermindert schuldfähig": Der Angeklagte habe sich vor dem "soziokulturellen Hintergrund entehrt" gefühlt und zur Tat im Zuge eines Blackout "hinreißen" lassen. Durch seine ergebnislosen Versuche, seine Schwester zu "disziplinieren", habe sich O. in seiner "Ehre heruntergedrückt gefühlt" und geglaubt "er taugt nichts".

Verteidiger Thomas Bliwier nannte Bochniks Vorstoß eine "sachfremde taktische Retourkutsche". Er enthüllte, dass am Tag vor dem Verfahrensbeginn der Staatsanwalt damit gedroht habe, Röhl als Gutachterin abzulehnen, falls die Verteidigung ihren Befangenheitsantrag gegen Kreißig aufrecht erhalte. "Ich bin erschrocken, in welch platter Weise diese Drohung umgesetzt wird", schimpfte der Verteidiger. Wenn der Anklagevertreter die Gutachterin für befangen halte, hätte er dies zu Prozessbeginn vortragen müssen, so Bliwier.

Sollte das Gericht dem Antrag gegen Gutachter Kreißig stattgeben, wäre der gesamte Prozess geplatzt: Ein neuer Gutachter bräuchte mindestens sechs Wochen, um sich in die Materie einzuarbeiten.

Mit Unwägbarkeiten hatte dass Gericht am Freitag noch in einem weiteren Punkt zu kämpfen. Eigentlich hätte die beste Freundin der Getöteten als Zeugin vernommen werden sollen. Doch die 17-jährige Deutsch-Türkin hatte die gerichtliche Zeugenbetreuerin Gerda Rose-Guddusch angefleht, nicht aussagen zu müssen: Ihr Vater habe gedroht, sie in die Türkei abzuschieben, sollte sie es doch tun. Ersatzweise wurde die polizeiliche Vernehmung der Schülerin vom Juni 2008 verlesen. "Wir wollen nicht, dass sie familiären Ärger bekommt", sagte Richter Backen zur Begründung. Damals hatte die Schülerin berichtet, Morsal habe die "gleichen Probleme (…) wegen Schminken, Ausgehen und Anziehen" gehabt wie sie selbst - im Gegensatz zu ihr aber Verbote ignoriert.

Morsal hatte der Freundin von einer Affäre mit einen Hamburger berichtet und zudem einen afghanischen Freund in Bremen gehabt. Mit diesem habe sie sich "verloben, ein neues Leben beginnen und sich auf die Schule konzentrieren" wollen, berichtete die Freundin damals gegenüber der Polizei. Und, dass der Angeklagte von den sexuellen Beziehungen seiner Schwester erfahren haben könnte.

Zuvor sagten am Freitag mehrere Polizisten über Einsätze im Zusammenhang mit Familie Obeidi aus. So soll Morsal einen Tag vor der Tat von ihrem Vater getreten worden sein und an einem U-Bahnhof bei Passanten Schutz gesucht haben. "Wir haben sie ins Krankenhaus gebracht", sagte der Polizist Ulf S. "Sie wollte danach partout nicht nach Hause, da sie immer wieder vom Vater und vom Bruder geschlagen worden sei."

Auch die Polizistin Alice B. musste Morsal zur Hilfe eilen, nachdem diese von ihrem jüngeren Bruder gewürgt worden war. Zuvor hatte Morsal sich an einem geknoteten Bettlaken aus der Wohnung abgeseilt - wo ihr Vater sie eingesperrt hatte. Bereits im März 2008 hatte ein Einsatz den Polizeibeamten Jörg D. in die Wohnung geführt, um Morsal beizustehen. Beide Male war auch Ahmad O. in die Gewalttaten involviert. "Er hat sich vor mir mit geballten Fäusten aufgebaut, da wir Morsal mitnehmen wollten", berichtet D. Beim Verlassen der Wohnung habe Ahmad O. seiner Schwester dann überraschend "mit der Faust ins Gesicht geschlagen". Auf der Wache habe Morsal gesagt: "Ich möchte doch nur leben wie jede Deutsche."

Anwalt Bliwier bleibt jedoch dabei: Es gebe keinen Zusammenhang zwischen der familiären Gewalt und der Tötung Morsal Obeidis durch seinen Mandanten. Die Anklage gegen den Vater wegen Misshandlung Schutzbefohlener sei ein eigenständiges Verfahren: "Das sieht die Staatsanwaltschaft so und auch das Gericht."

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