■ Morgen ist auch der Tag des Flüchtlings: Eine asylpolitische Bilanz: Amtshilfe für Kanther
Der Tag des Flüchtlings am 3. Oktober steht unter dem Motto „Wer Menschenrechte vergißt, vergißt sich selbst“. Wenn das so ist, dann ist die deutsche Asylpolitik ein Sammelsurium von Erinnerungs-
lücken.
Zwar redet der Außenminister gern von Menschenrechten, in der politischen Praxis werden sie aber häufig vergessen. Ein Beispiel sind die Rückübernahmeabkommen mit Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Kinkel war sich nicht zu schade, gleich am Tag der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Regierung in Belgrad ein solches Abkommen einzufordern. Die Bundesregierung hält an dem Abkommen fest, obwohl sie dem jugoslawischen Vertragspartner im Juni eine Liste mit Fällen von Mißhandlungen von Abgeschobenen übergeben mußte. Am Abkommen mit Algerien wird weiterverhandelt – trotz der bekannt schlechten Lage der Menschenrechte dort und obwohl deutsche Botschaftsangestellte aus Sicherheitsgründen zurückgeholt wurden.
Die Pläne zu weiteren Abkommen lesen sich wie eine Hitliste von Ländern mit gravierenden Menschenrechtsproblemen: Libanon, Marokko, Pakistan, Indien, Bangladesch, Sri Lanka und China. Die deutschen Zuständigkeiten sind bezeichnend. Das Auswärtige Amt ist an den Verhandlungen beteiligt, federführend ist der Innenminister.
Vom Vergessen bedroht ist derzeit eine sachgerechte Entwicklungspolitik. Die Entziehung der Entwicklungshilfe als Zwangsmittel, wenn Staaten sich weigern, aus Deutschland ausreisepflichtige Personen aufzunehmen, unterläuft die Kriterien der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, zu denen nicht zuletzt die Beachtung der Menschenrechte zählt. Im Eifer des Gefechts haben die Vordenker dieser jüngsten populistischen Debatte übrigens eine Kleinigkeit übersehen: Einigen der „Problemstaaten“, die das Innenministerium im Auge hat, kann die Entwicklungshilfe schlicht nicht gekürzt werden. Staaten wie Liberia, Nigeria oder der Sudan erhalten von Deutschland wegen völlig unzureichender Rahmenbedingungen derzeit keine Entwicklungshilfe.
Das geflissentliche Übersehen der Menschenrechte ist längst nicht mehr ein Sonderproblem der deutschen Asylpolitik. Wenn Außen- und Entwicklungspolitik glaubwürdig die Menschenrechte vertreten wollen, dann müssen sie schleunigst die Amtshilfe für Kanther einstellen. Amke Dietert-Scheuer
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