: Mordkommission ermittelt wegen Alival
■ Das Medikament gegen Depressionen, „Alival“, soll Mitschuld am Tod von 19 Menschen haben / Anzeige gegen Chef des Instituts für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Bernhard Schnieders
Berlin/Frankfurt (ap/taz) - Nach mehreren Strafanzeigen gegen den Chemiekonzern Hoechst und einen führenden Beamten des Bundesgesundheitsamtes müssen Polizei und Justiz klären, ob zwei Medikamente gegen Depressionen den Tod von mehreren Patienten mitverursacht haben. Kriminalhauptkommissar Horst Klemmer sagte am Freitag, die III. Mordkommission der Berliner Kriminalpolizei ermittele bereits seit Anfang dieser Woche gegen den Leiter des Instituts für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Bernhard Schnieders. Es bestehe „Verdacht der fahrlässigen Tötung in mehreren Fällen zum Nachteil von zur Zeit noch unbekannten Personen“, sagte Klemmer. Justizsprecher Volker Kähne sagte aber, die Strafanzeige eines Kriminalbeamten sei bei der Berliner Staatsanwaltschaft bis Freitag mittag nicht eingetroffen. Dagegen liegt der Frankfurter Staatsanwaltschaft nach Angaben ihres Sprechers bereits die Anzeige eines Polizisten aus Nordrhein– Westfalen gegen Hoechst und Schnieders vor. In den Verfahren geht es um die Ende der 70er Jahre von Hoechst auf dem Markt eingeführten Medikamente „Alival“ und „Psyton“. Das Bundesgesundheitsamt hatte die Mittel am 23. März 1978 zugelassen. Hoechst zog beide Mittel im Januar dieses Jahres vom Markt. Ein Unternehmenssprecher sagte, Vorfälle vor allem im Jahr 1985 hätten Hoechst bewogen, „freiwillig und in eigener Verantwortung“ zu handeln. Tatsächlich hatte Hoechst noch kurze Zeit vorher in einem zusammen mit dem Bundesgesundheitsamt verfaßten „Rote Hand Brief“, der Ärzte schnell vor neu erkannten Risiken eines Medikaments warnen soll, vor allem die Vorzüge und Unersetzlichkeit des Präparates gepriesen. In Großbritannien, wo Behörden strikter reagieren, wurde das Medikament nach Bekanntwerden der verheerenden Nebenwirkungen auf der Insel vom Hersteller Hoechst dagegen sofort freiwillig vom Markt gezogen. „Sonst hätten wir es getan“, so ein Mitarbeiter der britischen Gesundheitsbehörde. Hintergrund der Verfahren ist eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks vom Donnerstag vergangener Woche. Schnieders hatte darin Versäumnisse des Bundesgesundheitsamtes im Zusammenhang mit dem umstrittenen Medikament „Alival“ eingeräumt. Der Sprecher der Behörde, Klaus–Jürgen Henning, sagte, daß Schnieders seit Anfang der Woche auf „eigenen Wunsch seinen Jahresurlaub“ angetreten habe. Henning wollte nicht sagen, wieviel Menschen möglicherweise durch Alival ums Leben ka men oder wieviele durch Nebenwirkungen betroffen waren. „Das wollen wir jetzt erst mal selbst prüfen“, sagte er. Nach Informationen des Berliner Brancheninformationsdienstes „Arznei–Telegramm“ starben 19 Menschen nach Einnahme der beiden Medikamente. Unklar blieb am Freitag, in welchem Jahr sich diese Todesfälle ereignet haben sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen