Mordermittlung im Fall Arafat: Die Suche nach dem Gift
Die Todesursache von Yassir Arafat wurde nie eindeutig geklärt. Der die Ermittlungen begleitende Verdacht auf eine Polonium-Vergiftung ist umstritten.
PARIS taz | Die Staatsanwaltschaft von Nanterre bei Paris hat am Dienstagabend ein Ermittlung wegen Mordverdachts beim Tod des Palästinenserführers Yassir Arafat eingeleitet. Dieser war am 11. November 2004 im Pariser Militärkrankenhaus Percy unter nie eindeutig geklärten Umständen gestorben.
Seine Witwe hatte Ende Juli in Frankreich Klage eingereicht, weil der Nachweis von hochradioaktivem Polonium auf Arafats Objekten durch ein schweizerisches Labor bei seinen Verwandeten den schon früher gehegten Verdacht auf Mord bestärkt hat. Mehr Aufschluss dazu soll eine Autopsie der sterblichen Überreste liefern, zu der Arafats Witwe und die Tochter nun ihre Einwilligung gegeben haben.
Polonium war als namentlich als perfide Mordwaffe bekannt geworden, als damit 2006 der russische Oppositionelle Alexander Litvinenko in London vergiftet wurde. Da die Mordklage in Nanterre registriert und der Verdacht für ausreichend begründet erachtet worden ist, wird nun eine Untersuchung eingeleitet.
Gleichzeitig gibt es in Frankreich auch Stimmen, die gerade gestützt auf die von der Arafat-Stiftung im Internet publizierte Krankengeschichte an der Polonium-Mordversion starke Zweifel äußern. Beim Aufenthalt von Arafat in dem französischen Krankenhaus sei – neben anderen Analysen – auch nach Spuren von radioaktiver Strahlung im Urin gesucht worden, meint dazu das Online-Magazin Slate.
Keine signifikanten Symptome
Diese hätten entdeckt werden müssen, wenn sie in messbarer Dosis in seinem Körper vorhanden gewesen wären. Keinen kausalen Zusammenhang sieht Professor Roland Masse, ein Spezialist für Strahlenmedizin, anhand der bei Arafat festgestellten Symptome: „Die Vergiftung mit Polonium verursacht eine allgemeine Verstrahlung mit genau bekannten Folgen, namentlich einer Geschwürbildung der Darmschleimhaut mit Wasserverlust und blutigem Durchfall.“
Auch sei bei Arafat bei Analysen keine Anämie (Mangel an weissen Blutkörperchen) diagnistiziert worden, wie sie bei Polonium-Verstrahlung auftrete. „Wenn die auf den persönlichen Objekten schwach nachgewiesenen Polonium-Spuren von einer Kontamination vor fast zehn Jahren herrühren, dann müsste die damals verabreichte Dosis um rund 500.000 Mal höher gewesen sein, damit sie heute noch nachweisbar ist.
Eine so hohe Dosis aber provoziert Anomalien, von denen im ärztlichen Dossier nichts erwähnt ist“, erklärt auch der Strahlenmediziner André Aurengo der Zeitung Le Figaro. Nur ist es auch legitim die Frage aufzuwerfen, ob dieses Dossier alle Elemente enthält. Und Polonium, so meint ein anderer Arzt laut Slate sei ja nicht die einzig mögliche Spur bei den jetzt beginnenden Mordermittlungen im Fall Arafat.
Der vom Magazin zitierte Pariser Professor Marcel Francis-Kahn hält aufgrund der im Patientendossier beschriebenen Symptome beispielsweise eher eine eventuelle Vergiftung mit bestimmten Pilzen für glaubhaft.
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